Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)

Schlüssel«, sagte Slade. »Ich hab deine Autoschlüssel in der Pfarrkirche gelassen.«
    »Nimm die hier!« Daniel nahm ein Schlüsselbund von dem kleinen Schreibtisch und warf es Slade zu.
    »Soll ich etwa den Aston Martin fahren?«, fragte er ungläubig. Ich merkte, dass er – angesichts der Umstände – seine Begeisterung zügeln wollte.
    »Genau. Bring uns so weit wie möglich von hier weg«, sagte ich.
    Vorsichtig brach Daniel den Schaft des Speers entzwei, sodass nur noch fünfzehn Zentimeter aus Sirhans Brust herausragten. Dann wickelte er Sirhans Wolfskörper in die Decke ein und hob ihn zusammen mit Gabriel vorsichtig aus dem Bett. Schnell liefen wir zu der Limousine, die auf dem hinteren Parkplatz der Pfarrkirche geparkt war. Slade öffnete den Wagen und ich hielt eine der Türen auf, während die anderen Sirhan behutsam auf den Rücksitz legten.
    »Halte durch, Bruder«, sagte Gabriel und hielt Sirhans Hand fest.
    Ich lief um den Wagen herum und setzte mich auf den Beifahrersitz.
    »Los!«, rief Daniel, als alle im Wagen waren, und knallte die Tür zu. »Fahr so weit wie möglich aus der Stadt raus!«
    Slade startete den Motor und trat aufs Gaspedal. Schnell wie der Wind schossen wir vom Parkplatz auf die Straße und hielten auf die Stadtgrenze von Rose Crest zu. Ich war froh, dass es mitten in der Nacht war und wir keinen anderen Autos begegnen würden. Denn Slade scherte sich nicht darum, in der Spur zu bleiben.
    Wir hatten gerade das AUF-WIEDERSEHEN-IN-ROSE-CREST-Schild passiert, als Gabriel schrie: »Es bleibt keine Zeit mehr. Wir verlieren ihn.«
    »Soll ich anhalten?«, rief Slade.
    »Nein!«, brüllte ich zurück. Sirhan durfte hier nicht sterben. Nicht auf offener Straße. Es wäre völlig unmöglich, hier die Zeremonie abzuhalten. Wir brauchten einen einsamen, abgeschiedenen Ort. Wo niemand aus der Stadt hinkommen würde.
    Durch die Windschutzscheibe sah ich, dass wir uns einer Kreuzung näherten. »Fahr nach rechts!«
    Slade drehte das Lenkrad, und schon schossen wir über die alte Landstraße, die Daniel und ich erst gestern Abend entlanggefahren waren. »Mann!«, rief Slade und stieß einen Freudenschrei aus. »Habt ihr gemerkt, wie der Aston reagiert hat? Ich würde glatt dafür töten, nur um mal einen Rennen mit dieser Kiste zu fahren.«
    Vorsichtig blickte ich ihn von der Seite an und hoffte, dass er das mit dem Töten nicht buchstäblich gemeint hatte.
    »Im Augenblick fährst du ein Rennen gegen die Zeit!«, rief Daniel.
    Gleich hinter den Bäumen konnte ich die Umrisse der Frightmare Farm erkennen. »Wir sind gleich da. Hier links!«
    Slade bog ab und erwischte mit der Stoßstange ein ZUVERKAUFEN-Schild, das in der Kurve stand.
    »Oh, verdammter Mist«, sagte Slade.
    »Es wird noch Schlimmeres passieren als ein paar Lackkratzer. Halt dich geradeaus!«
    »Aber da ist ein Zaun.« Slade deutete auf das verschlossene Zufahrtstor, das von ein paar Vogelscheuchen flankiert war.
    »Fahr weiter! Halt einfach darauf zu!«, befahl ich ihm. »Haltet euch fest!«, rief ich den anderen zu.
    Gabriel und Daniel setzen sich schützend dicht neben Sirhan. Slade erschauderte, trat aufs Gas und ließ den Wagen gegen das Tor knallen. Ich duckte mich, als der Aufprall die beiden Torflügel auseinanderriss und eine der Vogelscheuchen in hohem Bogen durch die Luft flog. Mit einem dumpfen Geräusch landete sie auf dem Wagendach. Für einen kurzen Moment blickten ihre toten Augen durch das Glasdach auf uns herab, bevor sie schließlich auf die Straße geschleudert wurde.
    »Heu!«, rief Slade plötzlich, als wir mit dem Wagen eine Pyramide aus Heuballen durchbrachen. Überall flog Heu in der Luft herum, aber wir rasten weiter, bis wir schließlich die Mitte des Scheunenhofs erreicht hatten. Ich befahl Slade anzuhalten.
    Die Limousine machte einen Schlenker und wirbelte beim Bremsen Matsch und weiteres Heu auf.
    »Du bist ja irre!«, brüllte Slade.
    »Du bist brillant«, sagte Daniel und öffnete die Tür.
    »Sirhan stirbt!«, rief Gabriel.
    Er und Daniel hoben Sirhans verschrumpelten Körper aus dem Wagen. Zuvor hatte ich schon gedacht, dass der ehemalige Alpha sehr alt wirkte, aber das war nichts im Vergleich zu seinem jetzigen Aussehen. Es war so, als hätte man eine lederne Hülle über ein Skelett gezogen.
    Gabriel legte Sirhans Kopf in seinen Schoß. »Sirhan«, sagte er. Tränen tropften auf seinen roten Bart. »Sirhan, ich bin hier. Ich werde mein Versprechen einlösen. Bevor du stirbst, werde ich