Urbi et Orbi
ichener loseisen kann. Aber das haben Sie ja freundlicherweise selbst für mich erledigt. «
Ambrosi verdrehte ihr den Arm noch stärker. Sie öffnete den Mund zum Schreien.
»Na, na. Schön still bleiben. Außerdem hört Sie hier ja doch keiner. «
Sie versuchte sich zu befreien, setzte die Beine ein.
»Halten Sie still. Meine Geduld ist erschöpft.«
Statt einer Antwort wehrte sie sich noch heftiger.
Ambrosi riss sie von der Wand weg und nahm sie in den Schwitzkasten. Er drückte ihr mit dem Unterarm die Gurgel zu. Sie versuchte sich loszureißen und grub ihm die Fingernägel in den Arm, doch weil sie keine Luft bekam, flimmerte es ihr vor den Augen.
Sie öffnete den Mund, bekam aber keinen Schrei mehr heraus.
Sie verdrehte die Augen.
Das Letzte, was sie sah, bevor alles schwarz wurde, war der klagende Blick der Jungfrau, der Katerina in ihrer elenden Lage aber auch nicht half.
65
M ichener betrachtete Irma, die aus dem Fenster auf den Fluss starrte. Sie war kurz nach Katerinas Aufbruch zurückgekommen, einen vertraut wirkenden blauen Umschlag in der Hand, der jetzt auf dem Tisch lag.
»Mein Jakob hat sich das Leben genommen«, flüsterte sie . » Wie schrecklich traurig.« Sie sah Michener an. »Und doch wurde er im Petersdom begraben. In geweihtem Boden.«
»Wir mussten die Wahrheit vor der Öffentlichkeit verschweigen. «
»Genau das hat er der Kirche immer vorgeworfen. Dass die Wahrheit zu wenig gilt. Welche Ironie, dass nun auch sein Vermächtnis auf einer Lüge gründet. «
Michener fand das nicht ungewöhnlich. Auch seine eigene Karriere war ja auf einer Lüge begründet. Interessant, wie ähnlich er und Clemens sich doch waren. »Hat er dich immer geliebt?«
»Du willst wohl wissen, ob es noch andere Frauen gab? Nein, Colin. Nur mich.«
»Hattet ihr nicht das Gefühl, dass eure Beziehung sich weiterentwickeln müsste? Hast du dir nie Mann und Kinder gewünscht?«
»Doch, Kinder schon. Das ist das Einzige, was ich in meinem Leben bedaure. Aber ich wusste früh im Leben, dass ich zu Jakob gehören wollte, und er hat es sich ebenfalls so gewünscht. Dir ist bestimmt bewusst, dass du in jeder Hinsicht wie ein Sohn für ihn warst. «
Micheners Augen wurden feucht.
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass du seine Leiche gefunden hast. Das muss schrecklich für dich gewesen sein.«
Er wollte nicht daran denken, wie Clemens auf dem Bett gelegen hatte, während die Nonnen ihn zur Bestattung vorbereiteten. »Er war ein bemerkenswerter Mann. Und doch kommt es mir jetzt so vor, als wäre er ein Fremder gewesen.«
»Das brauchst du nicht so zu empfinden. Er hat nur einen Teil seiner selbst für sich behalten. So wie auch du bestimmte Seiten an dir hast, die er nie kennen gelernt hat.«
Wie zutreffend!
Sie zeigte auf den Brief. »Ich konnte nicht lesen, was er mir da geschickt hat.«
»Du hast es versucht?«
Sie nickte. »Ich habe den Umschlag geöffnet. Ich war neugierig. Aber erst nach Jakobs Tod. Der Text ist in einer fremden Sprache verfasst.«
»Italienisch.«
»Erzähl mir, worum es geht.«
Erstaunt lauschte sie seinem Bericht. Dann musste er ihr sagen, dass außer Alberto Valendrea kein lebender Mensch wusste, was das Dokument in dem Umschlag enthielt.
»Ich wusste, dass irgendetwas Jakob beunruhigte. In den letzten Monaten klangen seine Briefe zynisch und deprimiert. Es sah ihm gar nicht ähnlich. Und er weigerte sich, mir irgendetwas zu erzählen.«
»Ich habe auch vergebens versucht zu erfahren, was ihn bedrückte.«
»Manchmal konnte er sehr verschlossen sein.«
Er hörte, wie vorne eine Tür aufging und wieder zugeschlagen wurde. Über den Dielenboden näherten sich Schritte. Das Restaurant lag im hinteren Bereich des Hauses. Vorne waren ein kleiner Eingangsbereich und das Treppenhaus. Vermutlich kehrte Katerina zurück.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Irma.
Michener saß nicht mit Blick zur Tür, sondern zum Fluss. Jetzt drehte er sich um und erblickte Paolo Ambrosi, der ein paar Meter hinter ihm stand. Der Italiener trug bequeme schwarze Jeans und ein dunkles Hemd. Sein grauer Mantel reichte bis über die Knie.
Michener stand auf. »Wo ist Katerina?«
Ambrosi antwortete nicht. Der selbstgefällige Blick dieses Drecksacks gefiel Michener überhaupt nicht. Er stand auf und stürzte auf ihn zu, doch Ambrosi zog gelassen eine Pistole aus der Manteltasche. Michener blieb stehen.
»Wer ist das?«, fragte Irma.
»Gefahr.«
»Ich bin Monsignore Paolo Ambrosi. Und Sie
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