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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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Badezimmer wollte Clemens ungestört sein. Während er duschte, machte der Hausdiene r d as Bett und legte seine Kleider zurecht. Die Nonne hatte die Aufgabe, das Zimmer aufzuräumen und Frühstück zu bringen.
    »Vielleicht schläft er einfach länger«, sagte Michener. »Selbst ein Papst kann hin und wieder mal faul sein.«
    Seine beiden Zuhörer lächelten.
    »Ich gehe wieder in mein Zimmer. Holen Sie mich, wenn Sie ihn hören.«
    Eine halbe Stunde später klopfte es an der Tür. Draußen stand der Hausdiener.
    »Noch immer kein Laut, Monsignore«, sagte er. Sein Gesicht war sehr besorgt.
    Michener wusste, dass außer ihm selbst keiner das Schlafzimmer ohne Clemens ’ Erlaubnis betreten würde. Schließlich sollte ein Papst sich zumindest hier seiner Privatsphäre sicher fühlen. Doch nun war es schon fast halb acht, und Michener wusste, was der Hausdiener von ihm erwartete .
    »Einverstanden«, sagte er. »Ich werde nachsehen.«
    Er folgte dem Mann zur Tür, wo die Nonne noch wartete. Sie bedeutete ihnen mit einer Geste, dass drinnen noch immer Stille herrschte. Er klopfte leise an und wartete. Dann klopfte er wieder, diesmal ein wenig lauter. Noch immer nichts. Er drückte die Türklinke nach unten. Die Tür ging auf. Er öffnete sie ganz, trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    Das Schlafzimmer war sehr groß; auf einer Seite führten hohe Türen auf einen Balkon, der zum Park hinausging. Alle Möbel waren uralt. Im Gegensatz zur Wohnung im Apostolischen Palast, die jeder Papst nach seinem Geschmack einrichtete, blieben diese Räume hier immer gleich und verströmten die Atmosphäre einer Zeit, als die Päpste noch Könige von Kriegern waren.
    Alle Lampen waren aus, doch die Morgensonne schie n d urch die vorgezogenen Vorhänge und badete den Raum in gedämpftem Licht.
    Clemens war zugedeckt und lag auf der Seite. Michener trat zu ihm und sagte leise: »Heiliger Vater.«
    Clemens antwortete nicht.
    »Jakob.«
    Noch immer nichts.
    Der Papst lag von ihm abgewandt da, sein gebrechlicher Körper war zur Hälfte zugedeckt. Michener streckte die Hand aus und schüttelte den Papst ganz leicht. Er bemerkte sofort, dass er kalt war. Eilig ging er auf die andere Seite des Bettes und sah Clemens ins Gesicht. Die Haut war aschfahl, der Mund stand offen, und auf dem Bettlaken war etwas Speichel eingetrocknet. Er wälzte den Papst auf den Rücken und riss die Bettdecke zurück. Beide Arme lagen leblos, und die Brust bewegte sich nicht.
    Michener fühlte nach dem Puls.
    Er fand ihn nicht.
    Zunächst dachte er daran, Hilfe zu rufen oder mit Mund-zu-Mund-Beatmung zu beginnen; wie alle im Haushalt war er dazu ausgebildet worden. Doch er wusste, dass es sinnlos war.
    Clemens XV. war tot.
    Michener schloss die Augen und sprach ein Gebet, von tiefer Trauer erfüllt. Es war ihm, als würde er Mutter und Vater noch einmal verlieren.
    Er betete für die Seele seines Freundes und schob seine Gefühle dann etwas beiseite. Es war viel zu erledigen. Es galt, ein bestimmtes Protokoll einzuhalten. Uralte Traditionen, und er hatte die Verantwortung für ihre strikte Befolgung.
    Dann fiel ihm etwas ins Auge.
    Auf dem Nachttisch stand ein kleines, karamellbraunes Fläschchen. Vor einigen Monaten hatte der Leibarzt des Papstes Clemens ein Schlafmittel verschrieben. Michener hatte das Medikament persönlich bestellt und das Fläschchen eigenhändig im Schlafzimmer des Papstes deponiert. Es waren dreißig Tabletten gewesen, und als Michener sie kürzlich zählte, waren es immer noch dreißig. Clemens verabscheute Arzneimittel. Es war schon ein Kampf, ihn auch nur dazu zu bringen, eine Aspirin zu nehmen, und so überraschte es Michener, den kleinen Behälter hier auf dem Nachttisch vorzufinden.
    Er warf einen Blick in das Fläschchen.
    Leer.
    In einem Wasserglas, das daneben stand, waren nur noch ein paar Tropfen.
    Die sich aufdrängende Schlussfolgerung war so erdrückend, dass Michener sich erschüttert bekreuzigte.
    Er starrte Jakob Volkner an und grübelte über die Seele seines lieben Freundes nach. Falls es einen Himmel gab, hoffte er mit jeder Faser seines Seins, dass der alte Deutsche den Weg dorthin gefunden hatte. Der Priester in ihm wollte Clemens die Tat vergeben, doch das stand jetzt nur noch in Gottes Macht – falls Gott denn existierte.
    Es waren schon Päpste totgeprügelt worden. Päpste waren erwürgt, vergiftet und erstickt worden. Manche hatte man verhungern lassen, andere waren von gehörnten Ehemännern ermordet

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