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Urod - Die Quelle (German Edition)

Urod - Die Quelle (German Edition)

Titel: Urod - Die Quelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Levine
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vorbei und die Menschen abgezogen waren.
    Als sie weiter gingen, stolperten sie über Gerätschaften, Markierungen, Holzpfähle und Latten zum Abstützen der Erde. Zeugnisse, dass hier wirklich einmal gegraben worden war, doch sie alle versanken kraftlos im Schlamm als hätten sie sich einfach ihrem Schicksal ergeben. Offenkundig waren sie schon länger nicht mehr benutzt worden.
    Langsam arbeiteten sie sich weiter vor und stießen endlich auf die eigentliche Ausgrabungsstätte, die zwischen dem Felsmassiv und dem Camp lag. In dem spärlichen Licht ihrer Lampen glich der Fels einem riesigen Raubtier, das seine Beute in die Enge getrieben hat und ihr nun den Garaus machen will. Die Fundstätten thrakischer Schätze sahen aus wie frisch ausgehobene Gräber, die nur darauf zu warten schienen mit dem gefüllt zu werden, dessentwegen es sie gab - mit dem Tod.
    Violas Arme überzog eine Gänsehaut und sie drängte sich nahe an Sebastian, der sich fasziniert umsah und etwas entdeckt hatte, auf das er zielstrebig zuschritt, um es aus der Nähe zu beleuchten. Es handelte sich um das seltsame Gestell, das sie bereits bei ihrer Ankunft aus der Ferne gesehen hatten, eine ungewöhnliche Holzkonstruktion, an der mehrere Glocken in verschiedenen Größen an Seilen herabhingen - ein Massengalgen für Glocken. Wie kleine Fäuste schlug der Regen auf die Glocken ein und erzeugte ein gespenstisches Bimmeln, als wimmerten und klagten Frauen wild durcheinander. Das musste es gewesen sein, das sie eben im Wald gehört hatten.
    „ Was soll das sein?“ fragte Sebastian.
    Die anderen hatten keine Idee.
    „ Vielleicht eine Warnung für die Arbeiter. Wenn sie nicht spuren oder ihr Pensum nicht schaffen, werden sie hier neben den Glocken gehenkt. Tja, andere Länder, andere Sitten. Die Bulgaren sind eben nicht so zivilisiert, wie man glaubt. Das durften wir ja heute am eigenen Leib erfahren. Stimmt's, Lea?!“
    Lea zog sofort den Kopf ein.
    „ Wieso hältst du nicht einfach mal die Klappe!“ entfuhr es Enza, die Sebastians Gerede nicht ertragen konnte.
    „ Ohooo! Da hat wohl jemand mit PMS zu kämpfen.“
    „ Das ist wenigstens vorübergehend, im Gegensatz zu Idiotie", schnappte Enza.
    Sebastian ließ den Kommentar unerwidert und beobachtete den Lichtkegel seiner Taschenlampe, der mühelos über die Felswand glitt, in der Einkerbungen zu sehen waren, die wie kleine Fenster oder Schießschächte aussahen. Sie starrten ihnen entgegen wie dunkle Augenhöhlen eines riesigen, fleischlosen Schädels.
    „ Was sind das für Löcher?" fragte Enza.
    Thomas gab einen überraschten Laut von sich.
    „ Das sind keine Löcher, das ist Oktaeteris, der thrakische Kalender."
    Sebastian, Viola und Lea teilten Thomas' Überraschung und für einen Moment schienen alle ihre ungute Stimmung vergessen zu haben und sahen sich begeistert den in Stein gehauenen achtjährigen Kalender der Thraker an. Enza hatte sich neben Lea gestellt und sie an der Schulter berührt.
    „ Okta- was?" fragte sie leise, damit Sebastian sie nicht hörte.
    Doch der war mit Thomas und Viola ein paar Schritte vorgelaufen und beleuchtete ausgiebig die Löcher im Felsen.
    „ Oktaeteris. Die Thraker haben acht Löcher in den Stein gehauen, wobei jedes für ein Jahr steht. Ein Achtjahres-Zyklus, bei dem jeweils im dritten, fünften und achten Jahr ein Schaltmonat von 30 Tagen eingefügt wurde. Zusammen ergibt das 99 Monate. Die Thraker gingen also schon damals von einer Jahreslänge von etwa 365 Tagen aus. Ich kannte ihn bis dato nur von Bildern. Aber jetzt so direkt davor zu stehen, tausende von Jahren danach, ist schon faszinierend!“
    Lea stieß zu den anderen, um sich den Kalender genauer anzusehen. Enza folgte ihr zögernd.
    „ Es sind nur sechs Löcher", bemerkte Thomas. „Ich frage mich, was sie davon abgehalten hat, ihn zu vollenden."
    Er ging ein paar Schritte und versuchte mithilfe seiner Taschenlampe die Lösung des Rätsels zu finden.
    „ Dieser verdammte Regen vielleicht!" entfuhr es Enza, doch niemand beachtete sie, denn Thomas war wenige Meter weiter auf etwas gestoßen, das ihn offenbar in Aufregung versetzte. Er rief sie alle herbei und wies auf eine Stelle am Boden. In dem gelben Licht der Taschenlampen war eine nasse, verdreckte, schwarze Plane zu sehen, die Thomas zurückgeschlagen und so ein Fries freigelegt hatte, das direkt in den Felsen gehauen war. Da man es nicht vor dem Regen in Sicherheit hatte bringen können, sollte die Plane es vor der Witterung

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