Urod - Die Quelle (German Edition)
mit ihren glatten Oberflächen. Sie kräuselten sich, als würde ein leichter Wind sie aufwühlen. Nur, dass es kein Wind war. Lea hob den Blick.
Sie vernahm ein Geräusch. Ein Geräusch, das so seltsam und von solch intensiver, ja physischer Präsenz war, dass sie es am ganzen Körper zu spüren glaubte. Geheimnisvoll und verlockend wie Sirenengesänge und ebenso voll unterschwelliger Bedrohung. Etwas derartiges hatte sie noch nie gehört. Süß war dieser Klang. Und mächtig. Er schien ihr leise und zurückhaltend, aber gleichzeitig vollkommen durchdringend zu sein. Eine Gänsehaut überkam sie und sie konnte nicht anders als fasziniert zu lauschen. Die Wasseroberfläche der Pfützen waren in Wallung geraten. Es schien fast so, als würden die Schallwellen des Geräusches das Wasser kontrollieren und verschiedene Muster darin erzeugen.
Lea kratzte sich am Arm, wo sich eine trockene Stelle gebildet hatte, die nun schuppte. Sie konnte gar nicht aufhören zu kratzen, schabte so lange daran herum, bis die Stelle rot war und brannte. Dann suchte sie nach Enzas Creme, fand sie und schmierte etwas davon auf die blutende Stelle. Doch sie hörte nicht auf zu lauschen. Die Cremedose fiel zu Boden. Lea achtete nicht darauf. Wie paralysiert starrte sie auf das Wasser und begann sich dann an einer anderen Stelle ihres Körpers zu kratzen. Zunächst die Oberschenkel, dann die Schulter. Doch dann ließ sie davon ab. Sie zog ihre Brille aus und schmiss sie achtlos in den Matsch.
Augenblicke später bahnte sie sich einen Weg zum Bergmassiv in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien. Wie magisch davon angezogen lief sie immer weiter, bis sie zu einem Felsvorsprung gelangte, auf den sie behände kletterte.
Dann fiel sie auf alle Viere und reckte den Kopf in die Höhe, um zu lauschen. Wie ein Leguan, der seine Schuppenhaut der wohltuenden Wirkung der Sonne darbietet. Sie fühlte sich plötzlich randvoll mit Energie. Kraft durchströmte sie. Das Gefühl, alles erreichen zu können. Es mit jedem aufnehmen zu können. So wie der der unglaubliche Hulk, dessen grüne Muskelmassen, hervorgerufen durch unbändigen Zorn, ihn unbesiegbar machten.
Plötzlich knackte das Unterholz des Waldes. Lea warf ihren Kopf herum. Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Als wäre ihr gerade erst bewusst geworden, in welch gefährliche Lage sie sich begeben hatte. Eine leises Schnaufen im undurchdringlichen Schwarz der Nacht brachte ihr Gewissheit. Sie war hier nicht allein. Etwas lauerte dort. Und es kam näher. Immer näher.
Lea richtete sich auf. Unentschlossen. Einerseits wollte sie unbedingt zu der Quelle des Geräusches vordringen, das eindeutig von der Felswand her kam, andererseits wollte sie vor dem unbekannten Wesen weglaufen. Die Kraft, die sie durchdrang, gab ihr das Gefühl, dass sie vor nichts und niemanden Angst haben musste. Doch ihr Verstand sagte etwas anderes. Sagte, dass sie besser fliehen sollte.
Stattdessen tat sie nichts.
Sie stand nur da und starrte in die Dunkelheit. Riesig und schwarz schien sie auf Lea zuzukommen. Der Geruch nach Moder und Jasmin war mit einem Mal überwältigend. So klar und deutlich hatte sie noch niemals etwas gerochen. Ihre Organe schienen zu vibrieren, im Takt des allumfassenden Geräusches zu schwingen. Das Bedürfnis ihm nahe zu sein, wurde immer dringlicher und machte sie nervös wie eine randvoll gefüllte Blase, die entleert werden wollte.
„ Geh zurück zum Camp“, dachte sie. „Bring dich in Sicherheit!“
Sie wusste, dass das Wesen auf sie zu kam, und dass seine Absichten nicht freundlich waren. Ihre Eltern und Freunde hatten sie so oft dafür getadelt, wie naiv und gutgläubig sie handelte. Sie selbst merkte dies meist erst im Nachhinein und es waren immer schmerzvolle Erfahrungen. Dennoch musste sie in all den Jahren einen Schutzengel gehabt haben, sonst stünde sie heute nicht hier an diesem verfluchten Ort mitten im Nirgendwo und würde etwas tun, was absolut wahnsinnig war.
„ Geh zurück, Lea, verdammt noch mal!“
Und wenn es doch nur ein Reh war, das sich seinen Weg durchs Unterholz bahnen wollte? Oder Miles und Drago, die dabei waren, ihre Fallen aufzustellen. Mit den Ohrenpfropfen konnten sie sich nicht unterhalten und hören konnten sie sie deswegen auch nicht. Sie sollte sich vielleicht bemerkbar machen, bevor dieser unheimliche Drago sie mit seinem Messer attackierte.
„ Lauf zum Camp zurück! Sofort!“ – meldete sich eine andere Stimme in ihr.
Doch
Weitere Kostenlose Bücher