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Urod - Die Quelle (German Edition)

Urod - Die Quelle (German Edition)

Titel: Urod - Die Quelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Levine
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Lea ging einen weiteren Schritt in die andere Richtung. Sie musste einfach wissen, was es mit diesem Geräusch auf sich hatte. Und mit einem Mal wurde das Geräusch lauter. Schwoll an wie ein Fluss, der über die Ufer tritt. Für einen Moment ging Lea ganz darin auf. Es gab nichts anderes. Nur dieses Geräusch. Allein das war Realität. Alles andere verschwamm, wurde unwichtig, ungreifbar.
    Doch dann sah sie es.
    Für einen winzigen Augenblick geriet ein Gesicht aus der öligen Schwärze des nächtlichen Waldes in das opalisierende Licht des Mondes. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, aber er reichte. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus und dann schüttete ihr Körper so viel Adrenalin aus, dass sie sich wie in einem Albtraum zunächst nicht mehr bewegen konnte. Ihre Beine schienen aus Rasierschaum zu sein. Sie blickte zu den Baracken, versuchte zu schreien – doch nur ein undefinierbares Krächzen kam aus ihrem Mund. Allein sie war nicht bereit, aufzugeben und versuchte ihren gelähmten Körper zu mobilisieren. Nur nicht an das schreckliche Gesicht denken. An diese gierigen, unmenschlichen Augen, die nur eines im Sinn zu haben schienen: Hunger.
    „ Lauf, Lea! Lauf!“
    Endlich kam ihre Motorik wieder in Gang. Sie begann zu laufen, stolperte nach nur wenigen Metern, schaffte es jedoch rechzeitig wieder das Gleichgewicht zu erlangen. Sie beschleunigte ihre Schritte, rannte auf das Camp zu, das verlassen und öde im fahlen Licht des Mondes lag. Sie keuchte, ihre Lunge schmerzte und sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrer rechten Seite. Doch sie rannte weiter. Ihre Beine hatten sich verselbstständigt. Sie bewegten sich von ganz allein.
    Sie hatte das Camp fast erreicht. Die Fenster einer Baracke waren noch erleuchtet. Ihre Rettung war nahe. Endlich verließ sie das rutschige Gras und sprintete über den steinigen Boden. Sie konnte es schaffen. Sie war eine gute Läuferin. Jetzt würde sich die Kondition ihrer Beine bezahlt machen.
    Plötzlich schnellte das Licht der Baracken zum Himmel. Was war los? Dann prallte ihr Körper hart auf dem Boden auf. Etwas hatte ihre Beine gepackt. Ihr Gesicht schien zu zerspringen vor Schmerz. Sie spürte, wie ihre Vorderzähne durch den Aufprall auf einen Stein aus dem Kiefer gerissen wurden und Blut in ihren Mund schoss. Augenblicke später fühlte sie nasses Gras unter sich. Duftend und kühlend. Alles schien ihr weh zu tun. Sie hatte die Orientierung verloren. Sie hörte, wie sich etwas in ihre Beine hakte und Sekunden später wurde sie weiter gezogen. Lea versuchte sich mit letzter Kraft am Boden festzukrallen. Doch der Stärke ihres Angreifers hatte sie nichts entgegen zu setzen. Ihre Nägel knickten um und brachen. Blutige Wunden hinterlassend. Sie spürte es nicht einmal. Warum nicht? Und dann kapierte sie es. Es war so grauenhaft, dass sie es vorher nicht bemerkt hatte, nicht bemerken wollte. Sie hätte es doch spüren müssen, als das Wesen ihre Beine packte. Hatte sie aber nicht. Nicht mal einen leichten Druck. Nichts. Und dann erlahmte schlagartig auch der Rest ihres Körpers und sie fühlte gar nichts mehr.
    Ihr fiel ein Artikel ein, den sie als Teenager fasziniert gelesen hatte. Über einen Mann, der von Löwen attackiert worden war. Der Mann hatte erklärt, dass er durch den großen Schock überhaupt keine Schmerzen gespürt hätte. Doch Lea war sich sicher, dass ihr Zustand nicht vom Schock herrührte. Tränen schossen ihr in die Augen. Denn es gab einen großen Unterschied zwischen ihr und diesem Mann.
    Er hatte überlebt.
     

     

Kapitel 4
     

    Ruhig und einschläfernd tröpfelte der Regen am nächsten Morgen auf Thomas’ Baracke. Die Filter in seinen Ohren sorgten jedoch dafür, dass er davon nichts mitbekam. Er schlief tief und fest, bis ein grobes Schütteln ihn aus dem Schlaf schreckte. Im Nu setzte er sich auf. Er brauchte einen Moment der Orientierung und rieb sich die verquollenen Augen. Als erstes erblickte er Drago, der mit unwilligem Gesichtsausdruck vor ihm stand, die Hände in die Hüften gestemmt.
    Bei Tageslicht betrachtet sah der Bulgare noch wesentlich übler aus als im schmeichelnden Licht der Petroleumlampen. Tiefe Furchen durchzogen sein Gesicht als wären sie dort hineingeätzt worden wie bei einer Radierung. Seine Zähne waren dunkelgelb, die Eckzähne extrem lang. Er trug nach wie vor die Damensonnenbrille. Thomas konnte das Markenzeichen eines Designers erkennen und fragte sich, was einen Mann wie Drago dazu trieb, sich eine

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