Urod - Die Quelle (German Edition)
spürte, dass auch Viola sich nur schwer von dem imposanten Anblick lösen konnte, während Sebastian völlig zielorientiert handelte. Er visierte etwas an und hielt dann nicht inne, bis er es erreicht hatte. Thomas wusste, dass Sebastian es aufgrund dieser Fähigkeit weit bringen würde und dennoch hatte er den Eindruck, dass das Leben mit all seiner Vielschichtigkeit, mit all diesen überaschenden Details und Nuancen viel zu oft an Sebastian vorbei ging. Das war etwas, das er mit Viola teilte. In ihr hatte er seine verwandte Seele gefunden und sie in ihm. Auch jetzt hatte Thomas das Gefühl, die Anwesenheit der Thraker nachgerade zu spüren, glaubte ihre Stimmen murmeln zu hören, die gedämpften Schritte auf dem Steinboden, das leise Schnauben ihrer Pferde, auch wenn es sich nur um das abfließende Regenwasser handelte. Die Vergangenheit schien plötzlich greifbar, als wäre die Zeit hier drin stehen geblieben. Er sah Viola an und wusste, dass sie das Gleiche empfand.
„ Meine Fresse ist das heiß hier!“
Sebastian riss Thomas mühelos aus seiner Versunkenheit. Er hatte recht. In der Höhle hatte sich die Hitze der letzten Wochen gestaut. Es war so heiß wie in einer Sauna. Sie knöpften sich schleunigst Jacke und Hemd auf, Viola zog ihren Pullover aus und band ihn sich um die Hüfte. Dann schaltetet Sebastian seine Lampe ein und bildete die Vorhut, Viola krallte sich an seiner Jacke fest und blieb dicht hinter ihm. Thomas hatte Schwierigkeiten mit seiner Taschenlampe, die einen Wackelkontakt zu haben schien. Er schüttelte sie kräftig, während er Viola hinterher eilte, dabei stolperte er über einen Felsbrocken und stürzte zu Boden. Ein heißer Schmerz durchfuhr seinen verletzten Fuß. Er fluchte und rappelte sich wieder auf. Gottlob war der Taschenlampe nichts passiert. Hastig leuchtete er die Umgebung ab. Hier im Inneren des Felsens war es stockfinster. Tintenschwarz. Viola kam auf ihn zugelaufen und fragte besorgt, ob alles in Ordnung sei. Thomas nickte, biss dabei aber die Zähne zusammen, denn sein Zeh marterte eine pulsierender Schmerz und er hatte den Eindruck, dass er wieder blutete. Auch Sebastian kam nun auf ihn zugeschlendert. Thomas glaubte zu erkennen, dass sein Freund betont langsam ging und ihn und Viola nicht aus den Augen ließ, die besorgt auf Thomas' Fuß starrte. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte Thomas: Hatte Sebastian sie heute Morgen vielleicht doch gehört? Wusste er etwa, dass Viola ihn verlassen wollte, um mit Thomas zusammen zu sein? Thomas ging gedanklich noch einmal die Ereignisse des Morgens durch. Nein! Es konnte nicht sein. Er hatte Sebastian absolut nichts angemerkt. Aber vielleicht war er einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und hatte nicht bemerkt, was in Sebastian vorging. Thomas versuchte im Gesicht seines Freundes zu lesen, doch der leuchtete ihm mit seiner Taschenlampe direkt in die Augen. Thomas hielt sich einen Arm vor das Gesicht.
„ Kannst du nicht woanders hin leuchten?!"
„ Ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist bei dir", erwiderte Sebastian und sein Tonfall klang herablassend. Gerade so, als wolle er noch ein "du Weichei" anfügen.
Der Tonfall alarmierte Thomas. Sebastian war zwar gerne und schnell herablassend, wenn sich jemand wegen körperlicher Schmerzen anstellte, aber eigentlich nur anderen gegenüber. Niemals bei ihm oder Viola. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Thomas' Magengrube aus. Sebastian verströmte eine latente Feindseligkeit. Allein Thomas war sich nicht sicher, ob dies den allgemeinen Umständen geschuldet oder ob sie speziell gegen ihn gerichtet war. Im nächsten Moment senkte Sebastian den Lichtkegel und hielt ihn sich dann unter das Kinn, sodass die dadurch erzeugten Schatten sein Gesicht wie eine Gruselpuppe aus der Geisterbahn aussehen ließen. Ein Effekt, den sie schon als Jugendliche begeistert ausprobiert hatten, doch hier in dieser Höhle wirkte Sebastian tatsächlich wie ein dunkler Gott der Thraker. Ein Gott, der Unheil heraufbeschwören konnte, wenn man ihm keine Opfer darbrachte, um ihn zu besänftigen. Sebastian zeigte die Zähne und erging sich in Monster-Lauten. Thomas verwarf augenblicklich den Gedanken, Sebastian wisse etwas über ihn und Viola, entspannte sich und sah ihm ungerührt dabei zu, wie er seinem kindlichen Spieltrieb frönte. Doch Viola riss ihm die Taschenlampe wütend aus der Hand.
„ Was ist nur los mit dir? Lea ist verschwunden und du... du..." Viola fand keine Worte für
Weitere Kostenlose Bücher