Urod - Die Quelle (German Edition)
Sebastians Verhalten.
„ Ich wollte die Situation nur ein bisschen auflockern. Sonst nichts."
„ Auflockern?" Viola klang völlig fassungslos.
Auch Thomas fand das Verhalten seines Freundes seltsam. Entweder wollte der nicht akzeptieren, dass die Situation wirklich ernst war oder er hatte es tatsächlich noch nicht begriffen. Thomas wusste nicht, was er schlimmer finden sollte.
„ Ok, das war dumm. Ich gebe es zu. Ich mache mir auch Sorgen um die Kleine. Aber vielleicht ist ja gar nichts passiert und wir drehen völlig umsonst am Rad.“
Thomas warf ihm einen ironischen Blick zu. Sebastian zuckte mit den Schultern. Da verstand Thomas, dass er das wirklich glauben wollte. Für jemand wie Sebastian war der Worst Case nichts weiter als ein theoretisches Szenario. Ein schaudervolles Gedankenspiel, das einem Gänsehaut verursachte und wohlige Schauer über den Rücken jagte, aber nichts, das jemals wirklich eintreffen würde. Und wenn, dann sicher nicht in seinem eigenen Leben.
„ Du willst mir erzählen, du glaubst immer noch, dass Lea heute Morgen eine Erkundungstour im Alleingang gestartet hat, um mal zu sehen, was hier sonst noch so los ist, außer den merkwürdigen Dingen, die wir gestern erlebt haben", fauchte Viola.
„ Also, wenn du das so formulierst...", antwortete Sebastian. „Ich meine, es kann doch sein, dass sie wirklich heute Morgen pinkeln musste, sich einen ruhigen Platz gesucht hat und dann irgendwas gesehen, das ihre Aufmerksamkeit geweckt hat. Ein Tier, eine seltene Pflanze, vielleicht ein unbekanntes thrakisches Artefakt - was weiß ich. Ihr habt sie doch gestern selbst gesehen. Sie vergisst sich völlig bei solchen Sachen und hat kein Gefühl dafür, wie gefährlich eine Situation werden könnte."
Im ersten Moment stimmte Thomas Sebastian zu, doch dann schalt er sich selbst. Ihm gefiel dieser Gedankengang nur deshalb, weil er ihm seine Schuldgefühle nahm.
„ Das glaube ich nicht. Sie wollte hier weg. Genau wie ich hat sie gespürt, dass hier irgendwas nicht stimmt. Und jetzt ist sie verschwunden." Viola kamen die Tränen und sie wischte sich energisch über die Augen. „Außerdem wissen wir doch gar nicht, seit wann sie verschwunden ist. Du bist der Letzte, der sie gesehen hat."
Viola hatte sich nun Thomas zugewandt und ihr letzter Satz klang eher wie eine Anklage denn wie eine nüchterne Feststellung. Thomas zuckte zusammen. Sie weiß es - dachte er wieder.
„ Was hat sie denn gesagt, als sie bei dir war?" fragte Sebastian. „War irgendwas? Wie war sie drauf?"
Sebastians Fragen waren vollkommen unschuldig. Thomas war sicher, dass er nie auf den Gedanken gekommen wäre, dass er mit Lea geschlafen hat. Bevor das passiert war, hätte Thomas diese Aussicht selbst völlig absurd gefunden. Aber Viola wartete schweigend auf Thomas' Antworten. Sie schien regelrecht darauf zu lauern. In der Dunkelheit konnte Thomas ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber er spürte die Spannung, die von ihr ausging. Thomas versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen, als er auf Sebastians Fragen einging.
„ Nichts war. Sie hat nichts gesagt und war wie immer. Ich meine, keine Ahnung, wie sie sonst so ist, ich kenne sie doch überhaupt nicht. Und ich weiß auch nicht, was uns das jetzt helfen soll." Er verlor die Beherrschung und wurde laut. „Wenn sie gesagt hätte, dass sie vorhat in der Gegend herumzuspazieren, dann hätte ich euch das mit Sicherheit erzählt, glaubst du nicht?!"
„ Ist ja gut, reg dich ab, Mann!" wiegelte Sebastian ab.
Viola schwieg weiter. Aber die Spannung, die Thomas aus ihrer Richtung wahrnahm, schien noch gewachsen zu sein. Er hielt es nicht länger aus und entfloh der Situation, indem er sich umdrehte und sich tiefer in die Höhle hinein tastete.
„ Das ganze Gerede hilft doch jetzt nichts. Lasst uns einfach weiter nach ihr suchen!"
Sebastian und Viola liefen ihm nach und holten ihn schnell ein. Mit den drei Taschenlampen konnten sie nun größere Flächen ausleuchten und hatten dadurch einen besseren Sichtwinkel. Die totale Finsternis war beängstigend. Doch nach wenigen Metern leuchtete Thomas auf etwas, das wie ein Schacht aussah. Er und Sebastian gingen in die Hocke und hielten ihre Taschenlampen hinein. In etwa drei Metern Tiefe bildete der Schacht einen leichten Knick. Unterhalb dieser Stelle ragte aus der Wand ein flacher Felsbrocken. Der Schacht wurde darunter deutlich breiter, sodass man den Boden sehen konnte. Tageslicht drang von unten zu ihnen
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