V wie Viktor
ihren Kopf hinweg sahen wir uns an, er zuckte die Schultern, schien auch noch nicht viel mehr zu wissen.
»Lin, Liebes, beruhige dich. Wer ist weg? Andrew?«
Ich legte den Arm um sie.
»Ja … Er hat mich angerufen und mir Lebewohl gesagt. Ich soll auf mich aufpassen. Er kommt nicht zurück! Nie mehr!«
Der Rest ging in einem heftigen Schluchzen unter, sie lehnte sich an mich, barg den Kopf an meiner Schulter.
»Oh Gott. Aber wieso? Und wohin? Raphael …?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß auch nicht mehr. Vik ist schon los, um ihn zu suchen.«
Damit war zumindest geklärt, wohin Viktor so dringend musste.
»Oh Himmel. Komm mal her. Schschsch … Alles wird gut. Er wird ihn schon finden.«
Ich hielt sie im Arm, streichelte ihr übers Haar. Sie tat mir so leid und ich konnte ihre Verzweiflung mitfühlen. Andrew war genauso charismatisch und faszinierend wie Viktor und sie war sehr verliebt. So einen Mann wollte man nicht verlieren.
Wie kann er ihr das einfach antun?
Irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, damit etwas zu tun zu haben. Raphael unterbrach meinen Gedankengang.
»Leider muss ich euch beiden Schönen alleine lassen. Aber ihr seid bei Darius in guten und sicheren Händen.«
Da kam mir eine Idee, wie ich sie ein wenig ablenken konnte.
»Weißt du was, ich muss sowieso mal wieder in meine Wohnung. Komm doch einfach mit. Ich könnte ein wenig Gesellschaft gut gebrauchen.«
Sie richtete sich schniefend auf, fuhr sich sehr undamenhaft mit der Hand über die Nase und nickte heftig.
»Ja, ich auch. Ich will auf keinen Fall alleine bleiben.«
Also machten wir uns alle zum Aufbruch bereit. Raphael besorgte mir noch eine Jacke und bald saßen Lin und ich im Fond der Limousine. Es war für uns beide gut, nicht wartend im Landhaus sitzen zu müssen, sondern etwas »zu tun« zu haben. Darius wusste den Weg noch, stoppte direkt vor der Tür, half uns beiden aus dem Wagen und bleib einen Moment unschlüssig stehen.
»Soll ich auf die Damen warten?«
»Nein, sehr lieb von Ihnen! Aber das kann ein wenig dauern. Kann ich Sie anrufen, wenn wir soweit sind?«
Er gab mir seine Handynummer und bat mich leise, vorsichtig zu sein. Lächelnd, mit einem warmen Gefühl im Bauch, küsste ich ihn auf die Wange und grinste dann breit über seine Verlegenheit. Er verschwand schnellstens wieder im Wagen und fuhr davon. Ich drehte mich wieder zu Lin.
»Na dann wollen wir mal.«
Beim Aufschließen hatte ich seltsamerweise nicht das Gefühl, nach Hause zu kommen. Die letzten Tage, besser gesagt Nächte, hatten alles auf den Kopf gestellt.Mein zu Hause war jetzt Viktor und nicht diese vier leblosen Wände. Lin machte zögernd ein paar Schritte hinein und sah sich um.
»Schön hast du es hier. So gemütlich.«
Ja, das sagten immer alle, die hier hereinkamen. Bisher hatte ich das selbst auch so empfunden, aber nun fühlte es sich leer und unvollständig an. Die abgestandene Luft roch nach Abschied.
»Danke! Komm rein. Schau dich um, wenn du willst.«
Wir gingen in die Küche, sie ließ sich auf einen Stuhl fallen, seufzte laut und starrte geradeaus an die Wand. Ihre Augen bekamen wieder diesen feuchten Glanz.
Oh je!
Ich zog meine Jacke aus, warf sie auf den Stuhl und klatschte in die Hände.
»Lin? Kannst du mir bitte helfen? Ich will ein paar Sachen mitnehmen, aber ich weiß nicht was.«
Ablenken, irgendwie ablenken!
Sie riss sich zusammen, nickte, folgte mir Richtung Schlafzimmer. Als ich die Tür öffnete, überschlug sich alles.
Ich hörte Lin kreischen, fühlte eine Hand auf meinem Mund und einen Arm, wie einen Schraubstock um meinen Brustkorb. Innerhalb von Sekunden hatte ich Klebeband auf dem Mund und um die Hände und eine Art Kapuze über dem Kopf. Ich konnte nichts sehen, mich nicht bewegen, nicht schreien. Lin wimmerte ganz in meiner Nähe. Der Griff lockerte sich etwas, ich wurde grob nach vorne gestoßen. Eine kalte Frauenstimme zischte: »Los, Bewegung!«
Jemand zerrte mich an den Handgelenken hinter sich her, durch die Tür, die Treppen hinunter, am Ausgang vorbei in den Keller.
Wieso in den Keller?
Kalte Angst stieg in mir hoch.
Was haben die hier unten mit uns vor?
Es ging weiter geradeaus, den langen Gang entlang, an dessen Ende, wie mir nun wieder einfiel, ein kleiner Notausgang war. Eigentlich war es nur eine Luke, sehr schmal und niedrig. Prompt schlug ich mir auch heftig den Kopf an. Ich schrie vor Schmerz gegen das Klebeband an.
»Klappe halten! Weiter!«
Die Stimme kam mir
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