Vaethyr: Die andere Welt
er ziemlich laut geworden war, dämpfte er seine Stimme. »Jetzt vielleicht nicht mehr. Das weiß ich nicht. Aber sie hat dich geliebt, aber du hast sie behandelt, als existiere sie gar nicht. Du hättest das höchste Glück im Universum haben können und hast es nicht einmal bemerkt. Du Arsch!«
Jon sah ihn mit großen Augen an. Er streckte seine Hände aus. »Das ist nicht mein Problem. Ja, sie ist mir nachgelaufen, aber das tun so viele Leute. Ich habe sie nie zu irgendwas ermutigt. Ich wusste es doch nicht einmal.«
»Nein, aber das passt.« Sam rieb sich die Stirn. »Du musst mir helfen, sie von dieser Heirat abzuhalten.«
»Wie?«
»Ich weiß es nicht. Geh und sag ihr, du seist ein Idiot gewesen, flehe sie an, das nicht zu tun. Sag ihr, dass du sie liebst.«
»Aber ich liebe sie doch nicht.« Jon sah ihn fassungslos an. »Sam, komm mal runter.«
»Bitte, ich bin so verzweifelt.«
»Wieso ich?«
»Weil sie auf dich hören wird.«
»Nein, das wird sie nicht. Ich tische ihr jede Menge Lügen auf und dann? Hoppla, tut mir leid, war nicht so gemeint? Und wenn sie jetzt mit mir zusammen wäre, anstatt mit diesem anderen Typen, was würde dir das nützen?«
Sam lehnte sich an eine Kommode und hielt sich den Kopf mit den Händen. »Ja. Ich drehe durch. Aber wieso kannst du es nicht?«
»Was kann ich nicht?«
»Sie lieben.«
»Verdammt, Sam, ich weiß es nicht. Sie ist bloß die kleine Rosie, sie ist toll, aber ich steh nicht auf sie. Diese blonde Freundin von ihr, Mel?, die habe ich gemocht. Aber weißt du was, ich hab’s nicht mit Freundinnen, ich ertrag es nicht, wenn Leute einen Tanz um mich machen.« Er schüttelte sich. »Ich möchte einfach in Ruhe gelassen werden.«
Sam holte tief Luft. »Wenn du so weitermachst, wirst du bald einsamer sein als in deinen wildesten Träumen.«
»Hör zu«, sagte Jon und seine Stimme wurde hart, »wenn du scharf bist auf Rosie, dann ist das dein Problem, nicht meins. Aber ich schätze, das liegt nur daran, dass sie das einzige weibliche Wesen war, das du in all den drei Jahren gesehen hast.«
Sam ließ sich geschlagen aufs Bett zurückfallen. »Ja genau, daran liegt es.«
»Geh doch heute Abend in irgendeinen Pub in Ashvale und du hast binnen zehn Minuten jede Frau, die du haben willst, am Haken.«
Sam schüttelte sich angewidert. »Danke für diesen vertraulichen Rat, aber ich bin einzig und allein an Rosie interessiert. Ganz schön gaga, nicht wahr?«
»Du bist definitiv zu lange im Gefängnis gewesen«, sagte Jon weise. »Wie wir alle.« »Verdammte Fantastereien«, sagte Rosie zu ihrem Spiegelbild.
Noch zwei Stunden bis zur Zäsur in ihrem Leben. Sie betrachtete ihre Hände und fragte sich, ob sie noch Zeit hatte, sich die Fingernägel zu lackieren. Vor der dunklen Eiche ihres Frisiertischs sahen ihre gespreizten Finger bleich und reglos aus.
»Felsenfest«, sagte sie. »Das ist gut. Ich werde das schaffen.«
Im Spiegel ihres Frisiertischs spiegelte sich ein heiteres elfenbeinfarbenes Gesicht mit leuchtenden grauen Augen, die unter dem pflaumenfarbenen Lidschatten unergründlich wirkten. Ihr hochgestecktes Haar war mit Perlen und Lilien geschmückt; Perlen lagen um ihren Hals und steife, elfenbeinfarbene Seide umhüllte ihre Schultern. Sie war ein makelloser Anblick. Und mit Sicherheit eine Sirene, keine Spur mehr von der schludrigen Gärtnerin. Ihr Gesicht verriet nichts und sie war ganz ruhig. Vor ihrem Schlafzimmerfenster lag Septembergold auf dem Spätsommergrün. Sie konnte Herbstfeuer riechen.
»Rosie?« Ein sanftes Klopfen und ihr Vater trat ein. Bei seinem warmherzigen Lächeln ging ihr das Herz auf. »Wo ist deine Mutter?«
»Die hat wohl Panik wegen der Blumen bekommen«, sagte Rosie. »Dad …«
Sie streckte ihre Arme aus und er kam zu ihr und umarmte sie, ganz vorsichtig, um weder Haare noch Make-up durcheinanderzubringen. Sein freundliches Gesicht strahlte ihres an. Und sie genoss die von ihm ausgehende Ruhe, den sauberen, erdigen Duft seines Aftershaves, der ihr so vertraut war. Solange ihr Vater da war, war alles gut.
»Ich fass es nicht«, sagte er. »Du siehst aus wie eine Prinzessin.«
»Du wirst doch nicht etwa weinen, oder?«, fragte Rosie ihn streng. »Man hat mich zu früh angezogen und jetzt wage ich es nicht mehr, mich zu bewegen. Ich hätte meinen Morgenrock anlassen und mit Tante Phyll ein paar Sherrys trinken sollen.«
Er kicherte. »Möchtest du was zu trinken? Es steht dir durchaus zu, ein bisschen –«
»Ich bin
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