Valentine
zweigten ab. Ein kleines Labyrinth edel gestalteter Gänge und Zimmer, die völlig vergessen ließen, dass man sich hier tief unter dem Château befand.
Alle außer Chantal hatten hier ihre eigenen Gemächer, wo sie vor den Sonnenstrahlen sicher waren. Diese idiotische Idee, dass Vampire in kalten Verlie se n und in Särgen den Tag verbrächten, hatte nur ein Mensch haben können. Ein weiterer Schlafraum wurde derzeit für Aliénors Mutter neu gestaltet, die im Roten Salon wohnte, einem der aufwändig ausgestatteten Gästezimmer im ersten Obergeschoss , die nur selten genutzt wurden .
»Wartet auf mich!« Aliénors helle Stimme erklang im Hintergrund, und ein Strahlen erschien auf Frédérics Gesicht. Er drehte sich um und sah seiner kleinen Elfe entgegen. Sie flog in seine geöffneten Arme , und er hob sie hoch, wirbelte mit ihr um die eigene Achse, drückte sie an seine Brust und küsste sie, als hätten sie sich eine Ewigkeit nicht gesehen. Die beiden waren ein ideales Paar , und es versetzte Valentine einen kleinen Stich, sie so zu sehen. Würde sie dieses Glück jemals für sich erreichen?
Die Stunden mit Maurice waren wie im Flug vergangen. Zuerst hatte Valentine ihm erklärt, dass das kleine Erdbeben, das vor wenigen Stunden Köln erschüttert hatte, nur einer der Vorboten einer viel größeren Katastrophe war. Maurice hing an ihren Lippen, als sie ihm mehr von der Prophezeiung erzählte, während rund um sie das Chaos umgefallener Gläser, Flaschen und Stühle beseitigt wurde . Möglicherweise hatte er ihr kaum zugehört, denn er wirkte weit weniger erschüttert, als man angesichts solcher Offenbarungen hätte annehmen können . Für einen kurzen Augenblick schien es, als würde er darüber nachdenken, doch dann war Valentine im Zweifel, wie sie seinen Gesichtsausdruck deuten sollte. Verklärt, entrückt – verliebt?
Wenn es tatsächlich so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gab – na ja, eher auf den zweiten, dann erlebte sie gerade, wie aufregend und verwirrend das war. Ihr Herz schlug ständig Purzelbäume , und es war schwierig , einen klaren Gedanken zu fassen. Es war ihr nicht verborgen geblieben, dass Maurice sie am liebsten an sich ziehen und küssen wollte , und bei d ies em Gedanken versteifte sie sich. Dunkle Schatten der Erinnerung drängten sich auf , und es gelang ihr nur mit Mühe, die damit einhergehende Panik zu unterdrücken.
Als sie sich kurz vor m Morgengrauen trennten , wusste er nur, dass sie Valentine de Bonville hieß und mit anderen Vampiren ein Schloss in Frankreich bewohnte. Es war wichtig, vorsichtig zu bleiben. Noch wusste sie zu wenig über ihn. Der Frage nach ihrer Telefonnummer war sie ausgewichen, dass sie diese nicht auswendig wisse und ihr Handy zuhause vergessen habe. Noch einmal würde sie ihn damit gewiss nicht hinhalten können. E r würde ihr ohnehin nicht abnehmen, dass sie kein Handy besäße.
Als sie jetzt dem innigen Kuss ihres Bruders und ihrer Schwägerin zusah, wünschte sie sich fast, Maurice hätte ihre Zurückhaltung ignoriert und es getan. Ihre Lippen brannten wie Feuer , und sie leckte sich mit der Zunge einmal schnell darüber. Es prickelte eigenartig, als käme die Berührung nicht von ihr selbst.
Nun, fürs E rste war Frédéric gut abgelenkt. Fröhlich summend , ging Valentine zu ihren Privaträumen weiter, die an seine und Aliénors Räume angrenzten.
»Warte!«
Valentines Herzschlag schlug einen Salto. In Frédérics Stimme lag Misstrauen.
»Was ist heute Nacht passiert?« Er kam näher.
»Nichts. Was soll schon sein ? « Sie öffnete die Tür und betrat ihren Wohnraum.
»Mach mir nichts vor. Du bist immer rechtzeitig vor Sonnenaufgang drinnen , und außerdem summst oder pfeifst du nie. Also ist etwas geschehen.«
Vielleicht sollte sie ihm von Maurice erzählen. Frédéric hätte bestimmt kein Problem damit, wenn sie einen Menschen zum Freund hatte. Freund? Valentine erschrak. War Maurice wirklich ein Freund – ihr Freund? Auf jeden Fall würde Frédéric ihn sofort kennen lernen wollen. Auch wenn er seine Verantwortung als Familienoberhaupt, entsprechend der Etikette der Vampirgesellschaft, nicht in den Vordergrund stellte, würde er Argumente vorbringen wie Sicherheit und Risikominimierung. Wenn man so lange miteinander lebte, kannt e man die Antwort des anderen meistens im Voraus. Aber ein Treffen beider Männer musste warten, bis sie sich im Klaren darüber war, ob und wie es mit ihr und Maurice weitergehen würde. Sie verstand ja
Weitere Kostenlose Bücher