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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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erstbesten Gegenstand, den er in die Hände bekam – eine weiße Tortenplatte. Lächelnd über reichte er sie der jungen Frau und führte sie zu ihrer Familie zurück. Sie bedankte sich bei ihm und zeigte die Platte ihrer Mutter.
    »Die müssen wir aber bezahlen.«
    »Nein-nein«, stotterte der Töpfer und wurde rot. »Ich schenke sie Ihrer Tochter.«
    Auch die junge Frau errötete, und da sie befürchtete, in Ohnmacht zu fallen, griff sie nach einem Bierkrug.
    »Dann lassen Sie mich den hier kaufen«, sagte sie mit einem Augenklappern.
    Ihre Mutter sah den Töpfer an und dann ihre Tochter und schmunzelte. Die Partie gefiel ihr.
***
     
    Seine zukünftige Frau und ihre Familie verließen die Werkstatt und wollten sich gerade in ihren ostdeutschen Wagen quetschen, als die junge Frau sich ans Haar fasste und kehrtmachte. »Ich hab meine Haarnadel verloren, wartet einen Augenblick«, rief sie ihrer Familie zu. Der alte Mann zuckte die Achseln. Sie lief schnell in die Werkstatt zurück, wo der Töpfer auf einem Schemel saß, einen Becher Wasser trank und versuchte, wieder zur Besinnung zu kommen. Als er sie kommen sah, spuckte er sich das Wasser übers Hemd.
    »Magda«, sagte er. »Na so was!«
    Sie bewegte sich geradewegs auf ihn zu, sicher wie eine Löwin, so wie sie später nie wieder auftreten würde, und überreichte ihm den Bierkrug.
    »Für Sie«, sagte sie.
    Für den Fall, dass er immer noch nicht verstanden hatte, was sie begehrte, klimperte sie ein letztes Mal mindestens zehn Sekunden lang mit den Augen und schlang die Arme fest um seinen Hals. Was sie wollte, war eindeutig. Der Töp fer schluckte kräftig, legte die Arme um ihre Taille und zog sie an sich. Sie duftete nach Gardenien. Er roch das Gardenienöl auf ihrer Haut und sah den Leberfleck an ihrem Hals direkt unterm Ohr und gab ihr ein Küsschen dorthin, genau auf die Stelle, an der der Gardenienduft offenbar ein Eigenleben führte. Ihr Leben und ihre Liebe pulsierten an dieser Stelle an ihrem Hals. So weit ging ihre junge Liebe.
    Magda fuhr von Miskolc in ihr Dorf zurück, und der Töpfer fuhr ihr nach, sprach mit ihren Eltern, machte ihr einen Heiratsantrag und fing an, eine neue Werkstatt zu bauen. Nie machte er ihr phantasievolle Liebeserklärun gen , nie sprang er herum wie ein liebestoller Verrückter. Ersang keine Lieder vor ihrem Fenster und schenkte ihr kein billiges Parfum. Er hielt sich zurück und fasste sie erst in der Hochzeitsnacht wieder an. Zuallererst berührte er den Leberfleck an ihrem Hals – den Gardeniafleck nannte er ihn. Die Stelle wuchs immer weiter und hüllte sie schließlich ein, und der Töpfer war glücklich, er schwebte in höhe ren Sphären. Er war bis über beide Ohren in seine zierliche, dunkelhaarige Frau verliebt und in sein neues Leben in dem abgelegenen Dorf.
    Als sie sich häuslich eingerichtet hatten, ging er bei jeder Hochzeit im Dorf schnell in die Werkstatt, holte eine Tortenplatte und einen Bierkrug aus dem Schrank und über reichte sie dem Brautpaar beim Hochzeitsempfang.
    »Bei Magda und mir hat das gereicht«, sagte er immer zu den Jungvermählten. »Mehr haben wir nicht gebraucht, um uns ineinander zu verlieben.«
    Das war das einzig Romantische an ihm. Es wurde zu einer Tradition im Dorf und machte ihn bei den Dorfbewohnern beliebt.
    Dass er einmal beliebt gewesen war, spielte jetzt kaum noch eine Rolle. Die Dorfbewohner sahen genau, dass der Töpfer diese Liebe verraten hatte. Weil er sich mit einer Außenseiterin wie Valeria eingelassen und diese Tradition missachtet hatte, würden sie ihn verstoßen. Hätten sie sich nicht an seine heilige Frau erinnert, hätten sie ihn vielleicht gesteinigt oder ihn vom Fahrrad gestoßen und aus dem Dorf gejagt.
    Seine bezaubernde Magda war jedoch keineswegs eine Heilige. Sie war eine echte Frau aus Fleisch und Blut, die Krankheiten durchlitt, deren Gebärmutter nicht richtig funktionierte und die schließlich eine Bürde wurde. Jahrelang hatten die beiden versucht, ein Kind zu bekommen. Sie hatten sofort damit begonnen: Seit ihrer ersten gemeinsamen Nacht dachten sie an nichts anderes, aber es gingnicht – sie waren unfruchtbar wie ein Haufen Steine. Hebammen und Ärzte konnten ihnen nicht helfen, auch keine Zigeuner. Vergeblich probierten sie zahllose Mixturen, Tonika und Tinkturen. In einem modernen Land hätte man vielleicht den Töpfer untersucht, aber auf dem Land lag es eindeutig an Magda. Sosehr sie sich auch ins Zeug legten, sie hatten keinen Erfolg. So

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