Valhalla: Thriller (German Edition)
hielten den Atem an. Es gab ein metallisches Klingeln, dann sahen sie, wie der Pfeil unverrichteter Dinge zu Boden fiel.
»Mist.« Ilka wickelte das Seil wieder ein und lud die Waffe erneut. Doch auch der zweite Versuch scheiterte, ebenso der dritte. Der Pfeil wies bereits erste Schrammen auf.
Ilka presste die Lippen zusammen. »Das ist ein ganz blöder Winkel«, schimpfte sie. »Ich glaube, dass die Öffnung gar nicht mal so klein ist, aber dieser Felsvorsprung macht mir zu schaffen.«
»Was dagegen, wenn ich es mal versuche?«, fragte John.
»Sei mein Gast.« Ilka reichte ihm den Werfer. Er legte an, zielte und schoss. Der Pfeil zischte punktgenau zwischen Vorsprung und Oberkante und verhakte sich mit sattem Klicken im Gestein.
»Anfängerglück«, murmelte Ilka, lächelte aber, als John ihr die Armbrust zurückgab. »Das bekommst du nicht noch einmal hin.«
»Willst du darauf wetten?« Er drückte ihr das Seil in die Hand, ein breites Grinsen im Gesicht. »Du müsstest es doch eigentlich besser wissen.«
Ilka zog das Seil stramm, befestigte es an ihrem Klettergurt und prüfte den Sitz. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck umfasste sie das Seil und begann, wie ein Affe daran emporzuklettern. Arkadij starrte ungläubig hinter ihr her. Vermutlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass er zuschaute, wie eine Frau so etwas tat. Wie überhaupt jemand so etwas tat, hier, in der Arktis, bei Temperaturen von minus dreißig Grad.
Über das Intercom konnten sie Ilkas Atemgeräusche hören.
»Verflucht glatt, diese Wand«, keuchte sie. »Wie abgeschmirgelt. Hab Probleme, mich mit den Füßen abzustützen.«
»Gibt es etwas, was wir für dich tun können?«, fragte John.
»Geht schon. Hab’s gleich geschafft. Richtet mal das Licht auf den Vorsprung.«
Hannah folgte der Anweisung. Im Schein der Lampe konnte sie erkennen, dass die Kante einen Überhang bildete.
»Sieht nicht einfach aus, wirst du das schaffen?«, fragte John.
»Abwarten.« In einem atemlosen Moment sahen sie, wie Ilka das Seil durch die Öse an ihrem Gürtel zog, es dort verknotete und dann mit beiden Händen nach der Felskante griff. Schnee und Eiszapfen prasselten auf sie herab.
»Himmel, Arsch und Wolkenbruch«, schnaubte Arkadij. »Was, wenn sie den Halt verliert? Oder der Pfeil löst sich, oder der Gurt reißt?« Der Russe wirkte ziemlich aufgelöst.
John grinste. »Dann müssen wir hoffen, dass sie weich fällt. Oder wir fangen sie auf. Sucht euch was aus.«
»Witzbold.« Arkadij war nicht nach Scherzen zumute. Aber er kannte Ilka auch noch nicht so gut. »Aus vier Metern Höhe fängst du niemanden auf. Nicht mal so eine halbe Portion wie diese Dänin.«
»Wen nennst du hier eine halbe Portion?«, erklang es aus ihren Lautsprechern. »Ich werde dich beim nächsten Mal an deine Worte erinnern, wenn ich dich unter den Tisch saufe. Und jetzt hört auf zu lamentieren, ich bin eh schon oben.«
Sie blickten hoch. Ilka stand oben auf dem Absatz und winkte ihnen zu. Dann verschwand sie.
»Ich hatte nicht den geringsten Zweifel an deinen Fähigkeiten«, sagte John. »Erzählst du uns, was du siehst?«
»Gleich. Erst mal muss ich den Pfeil bergen und ein paar Sicherungshaken einschlagen. Aber soweit ich das von hier aus beurteilen kann, sieht es sehr gut aus. Der Spalt ist schätzungsweise zwei Meter breit und mindestens vier Meter hoch. Der Felsvorsprung hat die Sicht darauf verdeckt, deshalb ist er von unten nur so schlecht zu erkennen war. Aber ich denke … heiliger Strohsack!«
»Was ist los?«
Pause.
Dann: »Hier oben ist etwas. Eine schöne, saubere Spur. Ganz frisch. Führt direkt in den Berg hinein.«
37
Zwei Stunden später, zurück in der Hütte …
A rkadij drehte sich um, sein Gewehr vor der Brust haltend.
»Jetzt mal Butter bei die Fische, und erzählt mir nicht, ihr wärt hier, um Nordlichter zu filmen, das glaube ich nämlich keinen Moment länger. Was für Typen seid ihr? Seid ihr überhaupt vom National Geographic? Los jetzt, raus mit der Sprache.«
Hannah sah John an, der daraufhin die Schultern zuckte. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen.
»In Ordnung, Arkadij. Es ist Heiligabend, und du hast ein Recht auf die Wahrheit. Könnte aber einen Moment dauern. Meinst du nicht, wir sollten uns lieber setzen, eine schöne Tasse Tee trinken und einen oder zwei von Hannahs wunderbaren Keksen essen?«
Der Russe sah sie feindselig an, überlegte einen Moment und nickte dann. »Abgemacht. Aber wehe, ihr erzählt mir
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