Valhalla: Thriller (German Edition)
auf am nächsten Morgen. Der Wind hatte an Schärfe und Kälte noch einmal zugenommen und blies mit erschreckender Wut aus nördlicher Richtung. Nichts und niemand konnte ihm standhalten. Hannah war froh, dass sie nicht zu Fuß gehen mussten; der Wind hätte sie vermutlich einfach niedergedrückt. So wie Hiroki, der, als er die Hütte verließ, von einer besonders heftigen Böe umgestoßen wurde und als gelb-schwarz gestreifte Kugel über den Schnee sauste. Roberto und John waren im Nu bei ihm und stellten ihn wieder auf die Füße. Dann ging es los. Dick vermummt und zu zweit nebeneinander, ließen sie sich von den großartigen Hunden in Richtung Plateau ziehen.
Hannah spürte, wie die Eiskristalle auf ihrer Haut abprallten. Wie nadelspitze Geschosse drangen sie in ihre Kapuze und den Schal, den sie als Schutz um ihren Mund geschlungen hatte. Die Kommunikation war unter solchen Umständen auf ein Minimum beschränkt. Selbst Hirokis Headsets reichten kaum aus, um das Brüllen des Windes zu übertönen.
Hannah griff nach Johns Hand. Sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Würden sie den geheimen Eingang finden, und wenn ja, was würde sie dort erwarten? Dass sie tatsächlich auf eine fremdartige Kreatur stoßen würden, hielt sie für wenig wahrscheinlich. Sie hatte diesen Monstergeschichten noch nie viel Glauben geschenkt. Das Ungeheuer von Loch Ness, der Yeti oder Mokele m’bembe – alles Hirngespinste. Unfassbar, wie viele Menschen von deren Existenz überzeugt waren, obwohl es nicht einen einzigen schlagenden Beweis dafür gab. Weder Fotos noch Filmaufnahmen, geschweige denn ein lebendes oder totes Exemplar. Aber so war das halt mit dem Glauben. Er sprach nur das Gefühl an, nie den Verstand.
Die Geräusche letzte Nacht waren allerdings sehr real und ziemlich beunruhigend gewesen. Noch immer hatte sie keine Ahnung, was das gewesen sein konnte. Da sie sich und die anderen nicht verrückt machen wollte, hatte Hannah beschlossen, niemandem etwas davon zu erzählen. Vielleicht würde sich das Geheimnis später noch aufklären.
»Alles klar mit dir?« John sah sie aufmerksam an. »Du machst einen recht nachdenklichen Eindruck.«
»Alles okay«, sagte sie. »Bin nur etwas nervös. Was, wenn ich mich geirrt habe? Vielleicht existiert gar kein Eingang …«
»Dann werden wir uns etwas anderes überlegen. Wir sind jetzt hier und wir werden einen Weg finden, versprochen. Uns wird bestimmt etwas einfallen.«
Hannah drückte seine Hand. Sie wusste, dass er recht hatte, aber trotzdem tat es gut, es noch einmal zu hören. Ja, dachte sie, sie würden einen Weg finden, das hatten sie immer getan.
Arkadijs Schlitten machte eine Kurve und blieb dann stehen. »Anhalten, Herrschaften«, rief er. »Wir sind da.«
Hannah wartete, bis John den Schlitten neben den von Arkadij gelenkt hatte, und stieg dann ab. Das Licht ihrer Halogenlampe erfasste eine steil aufragende Felswand. In ihrem Schatten war der Sturm nicht mehr ganz so heftig.
Ilka kam mit einer Sicherheitsleine zu ihnen herüber und hängte sie in die Karabinerhaken ein.
»Ist denn das wirklich nötig«, moserte Hiroki. »Ich bin in diesem Anzug doch schon gehandicapt genug. Jetzt auch noch dieses Seil, da komme ich mir ja vor wie ein Schlittenhund.«
»Nun hör sich einer den Kurzen an«, frotzelte Ilka. »Vorhin wärst du um ein Haar hinaus auf die Ebene gepustet worden, und jetzt klopfst du schon wieder markige Sprüche. War dir das nicht Lehre genug? Gerade du in deinem überdimensionierten Thermoanzug solltest dankbar für das Seil sein.«
»Muss ich mir diesen Ton gefallen lassen?«, schimpfte Hiroki. »Ich habe zwei akademische Grade. Ich muss mich nicht wie ein kleines Kind behandeln lassen.«
»Ruhig, kleiner Bruder«, sagte Arkadij. »Ilka meint es nur gut. Sie ist unsere Sicherheitsexpertin, sie weiß, was sie tut. Um ehrlich zu sein, mir ist vorhin fast das Herz stehengeblieben. Also nimm es nicht so schwer und lass dich anseilen, ansonsten bin ich es, der dich aus dem nächsten Eisloch zerren muss.« Das gute Zureden schien Hiroki zu besänftigen, und so fügte er sich in sein Schicksal.
Hintereinander – wie eine Gruppe von Gänsen – marschierten sie durch den dicken Schnee in nordwestlicher Richtung den Hang hinauf. Das ständige Einsinken machte jeden Schritt zur Qual. Es war, als würde man gegen Windmühlen kämpfen. Und dann dieser Sturm. Hannahs Herz hämmerte vor Anstrengung. Sie kam sich vor, als hätte sie gerade einen
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