Valley - Tal der Wächter
blitzte silbrig auf.
Leif machte Stielaugen. »Was hast du denn da um?«
Alle folgten seinem Blick. Alle sahen den Silbergürtel und schnappten nach Luft. Im Lauf der Auseinandersetzung der beiden Brüder hatte sich der Ärger der Menge mal gegen den einen, mal gegen den anderen gerichtet, ohne dass die Leute den Grund richtig hätten benennen können. Mit einem Mal schien alles klar.
»Das ist doch Svens Silbergürtel!«, sagte Leif ungläubig.
»Er hat ihn gestohlen«, keuchte jemand. »Er hat ihn sich umgelegt!«
In der allgemeinen Aufregung kam jemand unbeachtet quer über den nebligen Hof gelaufen.
»Er hat den Talisman unseres Hauses gestohlen!«, unkte eine Frau. »Kein Wunder, dass wir mit solchem Unglück geschlagen sind!«
»Ja, ich trage Svens Gürtel, mit dem er in jedem Kampf Sieger geblieben ist«, bestätigte Hal ruhig. »Will mir jemand verbieten, ihn zu tragen? Du vielleicht, Leif? Oder du, Runolf?«
Ein atemloser Ruf. »Hal!«
Die Umstehenden schwiegen. Hal zuckte lächelnd die Achseln. »Na, dann...«
»Hal!«
Aud sagte: »Sieh mal, wer da kommt!«
Sturla, dem Hal aufgetragen hatte, die Mauer abzugehen und die hölzernen Wachposten umzulegen, kam angerannt. Er kam mit entsetztem Gesicht vom Nordtor herüber. »Hal! Hal! Hord ist wieder da! Er hat Bogenschützen dabei – mit Brandpfeilen! Wir sollen dich ausliefern, sonst zünden sie das Haus an! Dann müssen wir alle elend verbrennen!«
Niemand sagte etwas. Alle spähten in den Nebel. Alle sahen über der Mauer einen rötlich gelben Fleck im Bogen himmelwärts fliegen.
Der Fleck war kaum größer als die Sterne, zwischen denen er seine Bahn zog. Ganz kurz schien er in der Luft zu stehen, dann stürzte er wie ein Raubvogel, rasch größer werdend, lodernd und einen gelben Schweif hinter sich herziehend, auf sie herunter.
Die Versammelten waren viel zu überrumpelt, um Warnrufe auszustoßen oder wegzulaufen.
Mit schrillem Fauchen zerstob ein Feuerblitz auf den Steinplatten vor Aud und Hal. Rötliche Flammen züngelten an den Säumen ihrer Kleider hoch. Die beiden rührten sich nicht von der Stelle. Die Übrigen liefen schreiend auseinander, Leif und ein paar andere warfen sich in Todesangst auf den Boden.
Ein Brandpfeil nach dem anderen sauste heran und fiel fauchend vom schwarzen Himmel, verwandelte sich in einen Feuerball.
Einer traf das Dach der Halle, einer landete in Grims Schmiede. Kaum hörte man den dumpfen Aufschlag, schon loderte der dort gelagerte Torf auch schon auf. Der nächste Pfeil zerschellte neben dem Fahnenmast.
Aus der Halle kamen ängstliche Rufe, plötzlich war der ganze Hof voller verschreckt umherlaufender Gestalten, die sich in Sicherheit bringen wollten.
Hal und Aud wechselten einen Blick. »Es ist so weit«, sagte Hal.
»Tu’s nicht, Hal!«
»Hier, schenk ich dir.« Er drückte ihr das Schwert in die Hand. »Da, wo ich hinwill, ist es mir bloß im Weg. He, Leif«, wandte er sich an seinen Bruder, der unbeholfen aufstand, »jetzt hast du wieder das Sagen.Vielleicht unternimmst du mal was gegen das Feuer.«
Leif war kalkweiß im Gesicht, sein Blick flackerte unsicher. »Du...«
»Ich gehe raus, um alle zu retten.« Hal drehte sich nach Aud um und lächelte ihr zum Abschied zu. »Leb wohl.« Dann lief er los, ließ Aud stehen, ließ die anderen stehen, ließ alles hinter sich – die durcheinanderhastenden Leute, die Verwundeten und Gefallenen, jene, die ihn verabscheuten, und jene, die ihn mochten, lief die mit Waffen, Helmen und Toten übersäte Gasse zwischen den geduckten Hütten entlang, lief vorbei an zerrissenen Netzen und dunklen Blutlachen, über Steine und Schutt bis zur Troldmauer, die schwarz vor ihm aufragte.
Er kletterte hinauf, blieb noch einmal kurz stehen, dann sprang er auf der anderen Seite herunter. Seine kleine, gedrungene Gestalt war im Nu vom Nebel verschluckt.
27
Nach der Schlacht am Troldfelsen wurde Svens Leichnam nach Hause gebracht und man errichtete ihm auf dem Hügelkamm eine Grabstätte. Er wurde auf seinen besten Steinstuhl gesetzt, das Gesicht dem Hochmoor zugewandt, das blutige Schwert immer noch in der Hand. Ringsherum reihte man alles auf, woran sein Herz zu seinen Lebzeiten gehangen hatte: seinen randvoll mit Bier gefüllten Becher, seinen mit Fleisch und Brot beladenen Silberteller, sein Lieblingspferd und seine Lieblingsjagdhunde, die man draußen vor dem Grab erdrosselte und ihm anschließend zu Füßen legte. Viele waren der Meinung, auch sein Weib solle ihn
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