Valley - Tal der Wächter
schon vor Angst die Augen zuhält, wenn ihm eine Maus übern Weg läuft. Er ist eben ein typischer Nachfahre Hakons. Übrigens habe auch ich nicht vergessen, was geschehen ist. Und ich bedaure nichts – auch nicht die Folgen!«
Kaum hatte er ausgeredet, da war Olaf auch schon vom Pferd gesprungen, mit zwei langen Schritten wieder in den Stall gestürmt und hatte ihm eine saftige Ohrfeige verpasst. Hal spürte den Schlag förmlich auf der eigenen Wange. Er fuhr zusammen und riss sich den Nasenrücken an einem vorstehenden Holzspreißel auf.
Brodirs Kopf flog zur Seite, aber betrunken, wie er war – und obendrein überrumpelt -, fiel er weder hin, noch wich er einen Fußbreit zurück, obwohl ihm das Blut aus der Nase lief.
Für Olaf war die Sache damit erledigt. Er machte kehrt und wollte wieder aufsitzen, aber da stieß Brodir einen Wutschrei aus, schlang ihm von hinten den Arm um den Hals und zog ihn mit einem Ruck nach hinten, sodass Olaf das Gleichgewicht verlor und beinahe hingefallen wäre. Trotz seiner schmächtigen Statur war Brodir nämlich durchaus kein Schwächling. Sein Arm lag um Olafs Hals wie ein Eisenband, und mit der anderen Hand schlug er seinem Widersacher mehrfach fest ins Gesicht, bis diesem die Augen aus dem Kopf traten und die Zunge aus dem Mund hing.
Doch da kam Hord mit wehendem Mantel angestürmt. Er war vom Pferd gesprungen und ging mit geballten Pranken auf Brodir los. Unter dem ersten Hieb duckte sich Brodir weg, der zweite traf sein bärtiges Kinn und brachte ihn ins Wanken, aber er hielt Olaf unverändert im Würgegriff und trat mit dem Stiefel nach Hord, der, nach Atem ringend, gegen die nächstbeste Box prallte.
Hal hatte genug gesehen. Ohne nachzudenken, sprang er von seinem Trog. Das Nachthemd bauschte sich und flatterte ihm um die Beine. Er rannte um den Stall herum, an Ragnar vorbei, der wie ein Standbild auf seinem Pferd saß und dem Kampf aus verschwollenen Augen zusah, vorbei auch an den beiden anderen Pferden, die gelassen dastanden, und weiter hinein in den Stall, dorthin, wo sein Onkel und Olaf im Stroh miteinander rangen. Hord sah ihn kommen, und als Hal fast heran war, streckte er die Hand aus und packte ihn fest am Arm, dann zog er ihn ohne große Anstrengung mit einem Ruck zu sich hoch, sodass Hals Füße mit einem Mal in der Luft baumelten. Hal spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter, er schlug heftig um sich, aber Hords Arm war zu lang und sein Griff zu fest. Hord schwenkte ihn herum und ließ dann los. Hal flog quer durch den Stall in eine leere Box und krachte gegen die halbhohe Bretterwand, dass ihm die Luft wegblieb und weiße Lichter vor seinen Augen tanzten.
Er lag zusammengekrümmt in einem Strohhaufen und schmeckte Blut. Der ganze Stall schien sich um ihn zu drehen, erst schnell, dann langsamer, bis die Bewegung schließlich wieder aufhörte. Hal hob den Kopf. Er sah Olaf Hakonsson zusammengesunken am Boden liegen und sich mit beiden Händen an den Hals greifen. Hord hatte seinen Bruder aus Brodirs Umklammerung befreit und jetzt rangen die beiden Männer eng umschlungen miteinander. Ächzend und schnaufend, aber wortlos, rollten sie erst nach links, dann nach rechts, prallten so heftig gegen die Boxen, dass das Holz splitterte, und scharrten mit den Stiefelabsätzen über den Boden, bis Staubwolken in den morgendlichen Lichtspeeren flimmerten.
Brodir schlug sich tapfer, aber Hord war stark wie ein Stier. Der Ringkampf nahm ein jähes Ende, als Hord Brodir auf den Bauch warf und ihm die Arme auf den Rücken drehte, sodass Brodir sich nicht mehr rühren konnte.
Olaf kam mühsam wieder auf die Beine. Er war leichenblass und hatte Schaum vorm Mund.
Als Hal sich umdrehte, schoss ihm ein scheußlicher Schmerz durch die Schulter. Er kümmerte sich nicht darum und wollte aufstehen.
Da traf etwas Schweres seinen Hals. Es war ein Stiefel, der ihn brutal wieder auf den Boden drückte.
»Hiergeblieben,Troldfresse!«, sagte Ragnar Hakonsson.
Hal rang nach Luft und krallte die Finger in den Stiefel. Mit hervorquellenden Augen sah er Olaf Hakonsson nachdenklich vor Brodir stehen, der wehrlos in Hords Griff hing.
Dann sah er, wie Olaf sich einen Ruck gab und in Richtung der Pferde und damit aus Hals Blickfeld ging. Hal hörte, wie eine Satteltasche geöffnet wurde und jemand darin herumkramte. Dann tauchte Olaf wieder auf. Schmerz und Zorn waren aus seinem Gesicht gewichen, seine Miene war eine Maske eiskalter Entschlossenheit. In der Hand hielt er eines
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