Vampir à la carte (German Edition)
zweite Beutel leerte, nahm sie einen neuen aus der Kühlbox, doch dann hielt sie inne. Vielleicht sollte sie ihm besser kein Blut zu trinken geben. Er war geschwächt und hatte starke Schmerzen, aber was, wenn das Blut bewirkte, dass seine Verletzungen verheilten? Sie wusste jetzt, was er war. Im Augenblick versuchte er nicht, sie zu manipulieren, aber das hing vielleicht nur damit zusammen, dass der Blutverlust ihn zu sehr geschwächt hatte. Wenn sie ihm weiter Blut zu trinken gab und er zu Kräften kam … was dann? Würde er sie alles vergessen lassen, was sie gesehen hatte? Was würde er sonst noch mit ihr anstellen können? Würde er sie als sein Schoßhündchen halten? Als seinen wandelnden Blutvorrat und als seine Sexsklavin, bis er ihrer überdrüssig wurde? Und dann? Würde man ihre Leiche irgendwo am Straßenrand entdecken, ohne einen Tropfen Blut in den Adern? Die Blutkonserven in der Kühltasche hatte er schließlich auch irgendwo aufgetrieben. War das das Blut seiner Opfer, das er in Plastikbeutel abfüllte, um einen Vorrat zu haben, bis er ein neues Opfer gefunden hatte?
»Himmel!«, keuchte sie bei dieser Vorstellung.
»Alex?« Cale zog den Beutel von seinen Zähnen und schaute sie besorgt an. »Woran denkst du gerade?«
Sie sah ihn an, als ihr auf einmal ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf ging. »Du bist mit Mortimer befreundet. Er ist doch nicht auch … wie du, nicht wahr?«, brachte sie mit Mühe heraus.
Cale erwiderte nichts, aber die Antwort war an seinen Augen abzulesen. Mortimer war ebenfalls ein Vampir.
»Oh Gott!«, stieß sie entsetzt aus, da sie die Erklärung dafür gefunden hatte, wieso Sam von einem Tag auf den anderen eine Karriere aufgegeben hatte, die ein Leben lang das Einzige gewesen war, was sie interessiert hatte: Mortimer hatte ihren Verstand seinem Willen unterworfen, und vermutlich benutzte er sie ebenfalls als Blutspenderin und Sexsklavin. Sie musste Sam warnen.
»Alex?«
Cale schaute sie so eindringlich an, dass sie nur zu dem Schluss kommen konnte, dass er ihren Verstand unter Kontrolle bringen wollte, jedoch noch zu schwach dafür war. Sie durfte ihm nicht noch mehr Blut geben, sonst würde ihm das womöglich noch gelingen. Hastig warf sie den Beutel zurück in die Kühlbox, schloss den Deckel und nahm das Behältnis an sich.
»Warte, Alex! Nicht!« Die Geräuschkulisse aus dem Hintergrund verriet ihr, dass er wieder versuchte, seine eingeklemmten Beine zu befreien. Da sie fürchtete, er könnte bei diesem Anlauf Erfolg haben, und weil sie nicht wusste, wozu er alles fähig war, rannte sie zurück zum Mietwagen. Sie war nur noch wenige Schritte entfernt, da rutschte sie aus und verlor den Halt. Sie ließ die Kühlbox los und versuchte, irgendwie die Balance zu wahren, doch dann rutschte sie mit einem Fuß auf eine nicht vereiste Stelle, und die Schuhsohle brachte sie auf dem rauen Asphalt so abrupt zum Stehen, dass sie endgültig nach vorn kippte. Sie riss die Arme hoch und hielt sie schützend vor sich, dennoch wurde ihr Kopf beim Aufprall auf den Untergrund nach vorn geschleudert, sodass ihre Stirn mit einem hässlichen, nach zerberstenden Knochen klingenden Knall auf den Straßenbelag aufschlug.
Stöhnend und ächzend kniff Alex die Augen zu, um gegen den Schmerz anzukämpfen. Dann aber riss sie sich zusammen und robbte auf Händen und Knien in Richtung des Mietwagens, wobei sie einen Blick über die Schulter warf. Cale hatte es tatsächlich geschafft, sich aus dem Wrack zu befreien, um sie zu verfolgen. So schnell es der glatte Untergrund zuließ, raffte sie sich auf und hetzte um den Wagen herum zur Fahrerseite, dann sprang sie regelrecht auf den Sitz und klemmte sich beinahe noch den Fuß ein, da sie in aller Eile die Tür zuziehen wollte, um sie zu verriegeln.
Froh darüber, dass sie vergessen hatte, den Motor abzustellen, schob Alex den Schalthebel nach hinten. Als sie nach vorn sah, bekam sie gerade noch mit, wie Cales Beine unter ihm wegknickten, da sie zu schwere Verletzungen aufwiesen, um den Mann noch tragen zu können. Der Schmerzensschrei, mit dem er zu Boden ging, zerriss Alex fast das Herz, und sie zögerte einen Moment lang. Dann jedoch bemerkte sie, dass die Kühlbox beim Hinfallen aufgegangen war und die Blutbeutel auf dem Asphalt verstreut lagen.
Entschlossen presste sie die Lippen aufeinander, dann drehte sie das Lenkrad ganz herum und trat aufs Gaspedal, um die Ausfahrt entgegen der Fahrtrichtung zu benutzen. Sie wollte es gar nicht
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