Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
fragte mich, ob er nur möglichst wenig Arbeit machen wollte oder ob er meine Ängste im Hinblick auf das Essen teilte. Letzteres war nicht wahrscheinlich. Dimitri war eher der Typ Mann, den man in der Wildnis aussetzen und der von allem leben konnte, was er fand.
Paulette hatte anscheinend sehr viel Brot gebacken, und so ließen sie uns in unserem winzig kleinen Zimmer ein Picknick mit einem vollen Laib und einer Schale Butter machen, die Sarah wahrscheinlich selbst hergestellt hatte. Der Raum hatte ungefähr die Größe meines Wohnheimzimmers in St. Vladimir, und auf dem Boden lagen zwei Daunenmatratzen, säuberlich bedeckt von Quilts, die bei diesen Temperaturen wahrscheinlich seit Monaten nicht benutzt worden waren. Während ich noch an einem Stück Brot kaute, das überraschend gut schmeckte, strich ich mit der Hand über eine der Decken.
„Das erinnert mich an manche von den Mustern, die ich in Russland gesehen habe“, sagte ich.
Dimitri betrachtete das Muster ebenfalls. „Ähnlich, ja. Aber nicht ganz gleich.“
„Es ist die Evolution der Kultur“, warf Sydney ein. Sie war zwar müde, aber doch nicht müde genug, um einmal nicht den Oberlehrer heraushängen zu lassen. „Traditionelle russische Muster sind nach Amerika gekommen und irgendwann mit dem typischen amerikanischen Quiltmuster verschmolzen.“
Donnerwetter. „Ähm, gut zu wissen.“ Die Familie hatte uns allein gelassen, während sie sich für die Nacht fertig machte. Argwöhnisch musterte ich das rissige Holz der Tür. Angesichts der Geräusche und der Aktivität dort draußen erschien es mir unwahrscheinlich, dass man uns belauschen würde, aber ich senkte trotzdem die Stimme. „Würdest du uns jetzt endlich mal erklären, wer diese Leute eigentlich sind, verdammt?“
Sie zuckte die Achseln. „Die Hüter.“
„Ja, das habe ich auch schon kapiert. Und wir sind die Verdorbenen. Klingt nach einem besseren Namen für Strigoi.“
„Nein.“ Sydney lehnte sich an die Holzwand. „Strigoi sind die Verlorenen. Ihr seid verdorben, weil ihr euch der modernen Zeit angeschlossen und ihre hinterwäldlerischen Sitten und Gebräuche gegen euren eigenen verkorksten Lebenswandel eingetauscht habt.“
„He“, gab ich zurück. „Nicht wir sind doch diejenigen mit Overalls und Banjos.“
„Rose“, ermahnte mich Dimitri mit einem vielsagenden Blick zur Tür. „Sei vorsichtig. Und außerdem haben wir nur eine einzige Person in Overalls gesehen.“
„Wenn es dich glücklich macht“, sagte Sydney. „Ich halte eure Umgangsformen für besser. Menschen, die sich mit diesem ganzen .... “ Der freundlich-professionelle Ausdruck, den sie den Hütern gezeigt hatte, war inzwischen verschwunden, und ihre schroffe Natur gewann wieder die Oberhand. „Widerwärtig. Nichts für ungut.“
„Okay, okay“, antwortete ich mit einem Schaudern. „Glaub mir, ich sehe das genauso. Ich kann nicht glauben .... ich kann gar nicht glauben, dass sie so leben.“
Sie nickte, offenbar dankbar dafür, dass ich ihre Ansicht teilte. „Mir gefällt es besser, dass ihr unter euch bleibt. Außer .... “
„Außer was?“, hakte ich nach.
Sie blickte einfältig drein. „Selbst wenn die Leute, von denen ihr abstammt, keine Menschen heiraten, habt ihr doch trotzdem Beziehungen zu ihnen und lebt in ihren Städten. Das tun die Hüter nicht.“
„Was den Alchemisten auch lieber ist“, vermutete Dimitri. „Ihr mögt die Sitten dieser Gruppe nicht, aber es gefällt euch durchaus, dass sie – wie bequem! – außerhalb der etablierten Gesellschaft leben.“
Sydney nickte. „Je mehr Vampire abgeschieden in den Wäldern leben, desto besser – selbst wenn ihr Lebensstil verrückt ist. Diese Leute schirmen sich gegen alle anderen ab – und halten andere fern.“
„Mit feindseligen Mitteln?“, erkundigte ich mich. Wir waren von einer Kampfeinheit begrüßt worden, und sie hatte damit gerechnet. Alle waren sie zum Kampf bereit gewesen: Moroi, Dhampire und Menschen.
„Hoffentlich nicht allzu feindselig“, erwiderte sie ausweichend.
„Sie haben sie durchgelassen“, meinte Dimitri. „Sie kennen die Alchemisten. Warum hat Sarah Sie gefragt, ob Sie ihnen etwas mitgebracht hätten?“
„Weil wir so etwas meistens tun“, antwortete sie. „Ab und zu lassen wir Gruppen wie diesen Vorräte zukommen – Nahrungsmittel für alle, Medikamente für die Menschen.“ Wieder hörte ich die Geringschätzung in ihrer Stimme, aber dann verspürte sie anscheinend erneut
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