Vampire küsst man nicht: Argeneau Vampir 12
sollen.... während sie....«
»Das ist eine ganz normale Reaktion, Nicholas«, versicherte Jo ihm leise und drückte sanft seine Hand. Als er sie ungläubig ansah, nickte sie ernst. »Kurz nach dem Tod meiner Eltern traf ich mich mit Freunden in einem Restaurant zum Mittagessen, und am Tisch uns gegenüber saß ein älteres Ehepaar, weiße Haare, faltig.... sie waren sicher zwischen achtzig und neunzig....«
Einen Moment lang hielt sie inne, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht, was mich an ihnen so aufregte. Vielleicht war es die Art, wie sie sich anlächelten oder wie sie gegenseitig von ihren Tellern probierten. Auf jeden Fall musste ich an meine Eltern denken, und plötzlich war ich außer mir vor Zorn, dass diese alten Säcke lebten und glücklich waren, während meine Eltern, die viel jünger gewesen waren als die beiden, tot waren.« Jo seufzte betrübt. »Vermutlich gehört das zur Trauer dazu.«
»Hast du dieses ältere Paar denn dann auch mit nach Hause genommen und abgeschlachtet?«, fragte er und machte dabei eine finstere Miene. Jo sah ihm in die Augen. »Hast du das getan?« Nicholas wich ihrem stechenden Blick aus. »Offenbar.« »Jetzt drückst du dich schon wieder so ungenau aus«, schnaubte sie gereizt. »Ich will von dir kein Offenbar hören. Sag mir, was passiert ist. Du hast sie gesehen, und du bist wütend geworden. Und dann....«
Er runzelte die Stirn, während er seine Erinnerung nach dem damaligen Vorfall durchforstete. Schließlich sagte er: »Ich biss ihr die Kehle durch und trank von ihr.« »Mitten auf dem Parkplatz?«, fragte sie entsetzt. »Ich.... nein....« Er rieb sich über die Stirn. »Bei mir zu Hause. Im Keller.« Jo schwieg lange Zeit, und als er schließlich einen Blick in ihre Richtung wagte, stellte er fest, dass sie ihn ansah, als versuchte sie, ein Rätsel zu ergründen. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Wie hast du sie in deinen Keller gebracht? Und warum? Hat sie was gesagt, worüber du dich geärgert hast? Was war passiert?«
»Ich weiß es nicht«, herrschte er sie verärgert an. »Ich weiß nur, ich sah sie an und wurde schrecklich wütend. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist Decker, wie er meinen Namen ruft. Ich mache die Augen auf und sehe, dass ich in meinem Keller auf dem Boden sitze und die schwangere Frau in den Armen halte. Sie ist tot, und alles ist voller Blut, auch mein Gesicht. Ich habe sie getötet, Jo.« Zu seinem großen Erstaunen begann Jo auf einmal zu lächeln und lehnte sich zurück. Voller Überzeugung erklärte sie: »Du hast sie nicht getötet.« Ihre Ruhe machte ihn aus einem unerfindlichen Grund nur noch wütender. »Verdammt noch mal, Jo, ich habe es getan!«
»Und warum weißt du dann nichts mehr davon?«
»Es muss ein Anfall von blindem Zorn gewesen sein«, antwortete er prompt. Es war die einzige Erklärung, die nach all den Jahren einen Sinn ergab. Gleich nach dem Vorfall hatte er vor Entsetzen über sein Vergehen alles getan, um ja nicht darüber nachzudenken. Damit hatte er erst begonnen, als er Jo begegnet war. Seitdem regte sich in seinem Hinterkopf immer wieder eine Stimme, die ihm vorhielt, was er da getan hatte, warum er es getan hatte und wie er sich damit um jede Chance gebracht hatte, mit ihr zusammenzuleben. »Nein, das war kein blinder Zorn«, sagte sie so bestimmt, dass er nicht anders konnte, als sie ungläubig anzusehen. »Wäre es kein blinder Zorn gewesen, dann hätte ich sie ganz sicher nicht getötet!«, fauchte er.
»Nicholas«, erklärte sie geduldig und kniete sich neben ihn. »Überleg mal, was du da sagst! Du siehst diese Frau und wirst wütend, weil sie aussieht wie Annie und weil sie schwanger ist, weil sie lebt und weil Annie tot ist. Das ist eine ganz natürliche Wut, und wenn du mir erzählt hättest, dass du die Frau auf dem Parkplatz angegriffen und dabei getötet hast, dann würde ich dir das mit dem blinden Zorn glauben. Aber das ist nicht passiert. Du hast sie irgendwie dazu gebracht, in deinen Wagen einzusteigen und mit dir nach Hause zu fahren, wo du sie in den Keller gebracht hast, um sie dort zu töten. Und das willst du alles in blindem Zorn gemacht haben? Ohne dass du dich an irgendwas erinnerst, bis zu dem Moment, in dem du die Augen aufmachst und siehst, dass sie tot auf deinem Schoß liegt?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nein, so kann das nicht gelaufen sein.« Nicholas sah sie schweigend an, während sie sich gegen das Kopfende des Betts stützte. »Du hast
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