Vampire's Kiss
an. »Anmut, Stärke und nun auch noch Ergebenheit. Du hast dich wahrlich bewährt.«
Ich runzelte verständnislos die Stirn. Hatte ich recht gehört? War diese bizarre Unterredung nichts als ein Test gewesen?
»So perplex, meine Kleine.« Er tätschelte mit einem leisen Lachen mein Kinn. »Ich bin viele hundert Jahre alt, Acari Drew. Denke ja nicht, dass du das erste Mädchen bist, das einen derartigen Befehl erhält. Die meisten sträuben sich dagegen, während du dich als verlässlich erwiesen hast. Deine Reife überrascht mich.«
Hör dir das an, Ronan! Alcántara hielt mich für reif.
Obwohl ich mir insgeheim eingestehen musste, dass mich seine Anweisungen wurmten. Entsprechend lahm fiel meine Antwort aus. »Ich werde bald achtzehn.«
Er lachte schallend. »Ich denke, du bist bereit.«
»Bereit?« Wofür denn nun? , stöhnte ich. Für Perfektion im Haushalt? Ein Gespräch mit diesem Typen war wie eine Fahrt mit der Achterbahn.
»Bereit, mehr über unsere Mission zu hören. Und ein großes Geheimnis zu erfahren. Hör mir gut zu, querida . Es gibt da draußen noch andere Vampire. Böse Vampire.«
Es gab da draußen böse Vampire? Die noch bösere Sachen machten, als ahnungslose junge Mädchen zu entführen und sie dann zu zwingen, sich gegenseitig abzuschlachten? Was zum –?
Mir war noch schwindlig von der Bombe, die er soeben gezündet hatte, und so achtete ich nicht weiter auf Trinity und ihre Clique, die an mir vorbei zur Turnhalle strebten.
Alcántara hatte die Gruppe allerdings bemerkt, und er rief: »Guidon Trinity!«
Trinity warf mir einen bösen Blick zu, als sie das lauschige Tête-à-Tête zwischen mir und Alcántara beobachtete, und ich konnte mir denken, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Masha einen ausführlichen Bericht erhielt. Aber sie war die Ehrerbietung in Person, als sie noch einmal die Eingangsstufen nach unten gejoggt kam. »Ja, Master Alcántara?«
»Räumen Sie das Zeug da auf!« Er deutete herablassend auf die Zielscheibe, die ich am Baum befestigt hatte. »Ich habe im Moment wichtigere Aufgaben für Acari Drew.«
Meine Angst vor Trinitys Rachsucht war so groß, dass ich mir jegliche Schadenfreude verkniff. Am liebsten hätte sie wohl die Zielscheibe auf meinen Rücken geheftet. Jedenfalls knisterten ihre fahlen Augen vor kalter Wut. Nur Alcántaras Anwesenheit bewirkte, dass ich mich einigermaßen sicher fühlte. Wobei ich nicht genau sagen konnte, ob seine Gunst eine Lebensversicherung darstellte … oder mein Todesurteil.
»Begleite mich ein Stück.« Er reichte mir in einer sehr altväterlichen Höflichkeitsgeste den Arm.
Ich hatte soeben eine weitere Sprosse auf der Hierarchie-Leiter erklommen, und ich spürte, wie mich die Blicke der anderen Mädchen durchbohrten. Aber dann verdrängte ich den Gedanken. Ich stand über ihnen – das hatte er selbst gesagt.
Von Etikettekursen mal abgesehen, genoss ich es, dass er mich wie eine Erwachsene behandelte – und mir so verblüffende Dinge anvertraute. Andere Vampire? Böse Vampire? Noch böser als dieser Haufen? Bei dem Gedanken überlief mich ein Frösteln.
Hieß das etwa, dass es auf der Welt einen größeren Konflikt zwischen guten und bösen Vampiren gab? Plötzlich sah ich unsere Mission vor einem völlig neuen Hintergrund.
Gut gegen Böse … Das klang nach Gerechtigkeitsliga und Superheldentum. Ich spürte ein leises Bedauern, dass ich auf dieses Leben verzichten musste, weil ich ja fest zur Flucht entschlossen war.
Doch dann fiel mir der Draug wieder ein. Ich freute mich auf die Mission, aber noch mehr freute ich mich darauf, dieser Insel für immer den Rücken zu kehren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis mich jemand – oder etwas – zum Lunch verspeiste.
Ich senkte die Stimme, damit mich die Guidons nicht hören konnten: »Wo sind die anderen Vampire? Wer sind sie?«
»Nicht hier«, entgegnete er ebenso leise. »Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für neugierige Ohren bestimmt.«
Wir gingen bis ans andere Ende des Innenhofs, zu einer Bank in der Nähe der alten Kapelle. Das Schweigen war längst nicht so ungezwungen wie früher zwischen Ronan und mir. Von Alcántara ging eine starke Energie aus, eine besondere Chemie, die eine Spannung erzeugte und die Stille unbehaglich machte.
Wir ließen uns auf der Bank nieder, und mir fiel auf, wie dicht er an mich heranrückte. Das hatte ganz bestimmt etwas zu bedeuten, denn bei den Vampiren blieb nichts dem Zufall überlassen, nicht einmal die Wahl
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