Vampirgeflüster
aus, als kämst du aus einem Kampf.«
Er zögerte eine Weile, als wüsste er nicht, mit welcher Neuigkeit er beginnen sollte. Dann sagte Niall: »Breandan hat Vergeltung geübt für Murrys Tod.«
»Was hat er getan?« Ich fuhr mir mit trockenen Händen übers Gesicht.
»Er hat letzte Nacht Enda gefangen genommen, und jetzt ist sie tot.« Seinem Ton war zu entnehmen, dass ihr kein schneller Tod vergönnt war. »Du hast sie nicht gekannt, sie hat sich sehr gefürchtet vor den Menschen.« Niall strich eine lange Strähne seines Haars zurück, das so hellblond war, dass es beinahe weiß wirkte.
»Breandan hat eine Elfe getötet? Aber es gibt doch kaum noch weibliche Elfen, oder? Und dann tut er so was... ist das nicht besonders heimtückisch?«
»Es war so bestimmt«, sagte Niall in düsterem Ton.
Jetzt erst fiel mir auf, dass die Anzughose meines Urgroßvaters bis zu den Knien von Blut getränkt war. Deshalb war er wohl auch nicht näher gekommen, um mich zu umarmen.
»Du musst aus diesen Kleidern heraus«, sagte ich. »Bitte, Niall, geh unter die Dusche, und ich stecke deine Sachen in die Waschmaschine.«
»Ich muss gehen«, sagte er. Meine Worte schien er gar nicht gehört zu haben. »Ich bin hier, um dich persönlich zu warnen, damit du den Ernst der Lage begreifst. Dieses Haus wird von einem machtvollen Zauber geschützt. Ich konnte nur hier erscheinen, weil ich schon einmal hier war. Stimmt es, dass die Vampire und die Werwölfe auf dich aufpassen? Du stehst unter einem besonderen Schutz, das kann ich spüren.«
»Ich habe einen Bodyguard für die Nacht und einen für den Tag«, log ich, denn Niall konnte wahrlich nicht noch mehr Sorgen gebrauchen. Er stand selbst hüfttief in einem Sumpf voller Alligatoren. »Und du weißt ja, dass Amelia eine sehr gute Hexe ist. Mach dir keine Sorgen um mich.«
Er blickte mich an, doch ich glaube, er sah mich gar nicht. »Ich muss gehen«, wiederholte er unvermittelt. »Ich wollte nur sehen, ob du unversehrt bist.«
»Okay... vielen Dank.« Ich weiß, eine ziemlich lahme Antwort. Doch ehe mir etwas Besseres einfiel, hatte Niall sich schon mit einem Puff mitten in meinem Wohnzimmer in Luft aufgelöst.
Ich hatte zu Tray gesagt, dass ich Jason anrufen würde. Vorhin war ich mir noch nicht sicher gewesen, ob ich es wirklich tun würde. Jetzt war ich es. Schließlich hatte Alcide seine Schuld mir gegenüber bereits beglichen, als er mir Tray schickte, auch wenn der nun leider ausgefallen war. Alcide selbst würde ich sicher nicht bitten, auf mich aufzupassen; und von den anderen Rudelmitgliedern stand mir keiner nahe genug. Also holte ich einmal tief Luft und rief meinen Bruder an.
»Jason«, sagte ich, als er abgehoben hatte.
»Schwesterherz. Was ist los?« Er klang seltsam atemlos, als wäre etwas Aufregendes passiert.
»Tray musste weg, und ich brauche jemanden, der mich tagsüber schützen kann«, sagte ich, und einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Er bestürmte mich nicht sogleich mit Fragen, was sonderbar war. »Ich dachte, du würdest mich vielleicht begleiten. Bei all dem, was ich heute so zu erledigen habe.« Ich versuchte mich zu erinnern, was das eigentlich war. Auch in Zeiten der Krise forderte immer mal wieder das reale Leben sein Recht ein. »Also, ich muss in die Bibliothek und dann noch eine Hose aus der Reinigung abholen.« Da hatte ich beim Kauf leider nicht aufs Etikett geachtet. »Und im Merlotte's hab ich heut die Tagesschicht. Das war's auch schon, glaub ich.«
»Okay«, erwiderte Jason. »Obwohl nichts davon besonders eilig klingt.« Wieder machte sich längeres Schweigen breit. Dann fragte er plötzlich: »Bist du okay?«
»Ja«, sagte ich vorsichtig. »Wieso nicht?«
»Heute Morgen ist was echt Verrücktes passiert. Mel hat letzte Nacht bei mir übernachtet, weil er ziemlich einen sitzen hatte, nachdem wir im Bayou waren. Und heute Morgen ganz früh hat's an der Tür geklopft. Als ich hinkam, stand da dieser Kerl, und der war, ich weiß nicht, durchgeknallt oder so was. Und das Seltsamste war, er sah fast genauso aus wie ich.«
»Oh, nein.« Ich musste mich setzen.
»Der hatte sie nicht alle, Sook«, sagte Jason. »Ich weiß nicht, was mit dem los war, aber der hatte sie nicht alle. Er fing einfach an zu reden, als Mel die Tür aufmachte, so als würden wir ihn kennen. Lauter verrücktes Zeug. Mel hat versucht, sich zwischen uns zu schieben, und da hat er Mel einfach quer durchs Zimmer geworfen und ihn einen Mörder genannt. Mel
Weitere Kostenlose Bücher