Vampirnacht
zertrümmert worden, dass es amputiert werden musste. Jetzt durfte er also bald nach Hause gehen.
Wir hatten Martin für ihn versorgt, so wenig uns das auch gefallen hatte. Wir hielten ihn hinten im Garten in einem Schuppen. Ich fragte mich, ob Wilbur wirklich klar war, dass Martin – der Martin, den er gekannt hatte – schon lange nicht mehr da war und dieser Ghul herzlich wenig mit seinem Bruder zu tun hatte.
»Seid ihr wirklich sicher? Wilbur ist nicht gerade angenehme Gesellschaft.« Ich sah Marion fest in die Augen, und sie lächelte sanft.
»Du vergisst, dass ich drei Kinder großgezogen habe. Ich lebe davon, Menschen zu bedienen. Jemanden ernähren, hegen und pflegen – ich brauche das. Wilbur mag eine Nervensäge sein, aber wir schaffen das schon.« Sie lehnte sich zurück. »Ich bin ganz kribbelig vor Langeweile. Ich bin es gewöhnt, ein Café zu führen.«
»Was sagt Douglas denn dazu?« Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass ihr Mann sich darauf freute, Tag und Nacht von Wilbur und Martin umgeben zu sein, und sei es nur ein paar Wochen lang.
»Wir haben darüber gesprochen. Er versteht das.« Sie grinste mit spitzen Zähnen und erinnerte mich wieder einmal daran, warum die meisten einen Bogen um Kojote-Wandler machten. Auch die Werkojoten, die nicht dem Koyanni-Stamm angehörten, konnten ausgesprochen gefährlich sein. Vielleicht würden sie doch gut mit Wilbur fertig werden.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. »Ich bin in ein paar Minuten am Ende unserer Einfahrt mit Ivana Krask verabredet. Iris hat euch sicher schon erzählt, was ich vorhabe.«
»Ja, hat sie.« Delilah trat ans Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Die Irrlichter drängten sich auf der vorderen Veranda. »Wir müssen etwas unternehmen. Camille und Smoky sind noch nicht zurück, und wir haben keine Ahnung, ob Aeval überhaupt bereit ist, uns zu helfen. Tu, was du für nötig hältst.«
»Du stehst also hinter mir?« Delilah war die Letzte, von der ich in dieser Sache Unterstützung erwartet hatte, abgesehen von Iris.
Sie nickte und starrte weiterhin aus dem Fenster. »Chase ist ziemlich schwach. Bhutas überrennen Seattle. Lindsey hat vorhin angerufen – mehrere Mitglieder ihres Zirkels sind inzwischen ernsthaft krank und sehr geschwächt. Müssen wir lange raten, was der Grund dafür sein könnte? Und irgendwo da draußen läuft ein verdammter Dämonengeneral herum, der gern mit Geistern spielt. Ich würde einen Handel mit dem Teufel persönlich eingehen, wenn er uns helfen könnte.«
Ich nickte. »Ihr bleibt alle drinnen. Wenn irgendjemand ein Geschäft mit Ivana macht, dann bin ich das. Ich habe schon einmal einen Handel mit ihr abgeschlossen. Und es ist besser, wenn nur eine von uns in ihrer Schuld steht, als alle zusammen.« Ich ging zur Tür und drehte mich noch einmal um. »Nerissa, du bleibst heute Nacht hier. Es ist mir egal, wie schön du es in deiner Wohnung findest. Das ist zu gefährlich.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging ich hinaus.
Ivana wartete am Tor, als ich das Ferkel das letzte Stück der Auffahrt entlangschleppte. Ich schlug auf Irrlichter ein wie auf lästige Fliegen. Sie konnten mir nicht viel tun, aber sie waren nervtötend wie hyperaktive Riesenschmeißfliegen.
Ich beurteilte normalerweise niemanden allein nach seinem Äußeren, aber Ivana war wirklich abgrundtief hässlich. Obendrein verschwamm sie immer wieder und veränderte leicht die Form, während sie sich stabilisierte. Auf Höhe der Augen war ihr Gesicht sehr breit, zum Kinn verjüngte es sich zu einer Spitze. Ihre Nase war sehr klein und platt und ihr Gesicht unnatürlich flach, bis auf die fleischigen Knubbel und Knoten, die darauf verteilt waren. Wenn sie lächelte, wurde es noch schlimmer – nadelspitze Zähne glitzerten zwischen schmalen Lippen hervor, und sie sah ganz so aus, als könnte sie eine Menge »helles Fleisch« essen. Sie kleidete sich wie eine Obdachlose, doch darunter verbarg sich ein sehr altes, sehr mächtiges Geschöpf. In respektvoller Entfernung blieb ich stehen.
»Ah, die junge
Vampyr
… Und, totes Mädchen, hast du meinen kleinen Quieker? Mein feines Häppchen, meinen Mitternachtssnack?« Sie schmatzte mit den Lippen, und mich schauderte bei dem abscheulichen Glanz in ihren Augen. Selbst in meinen wildesten Augenblicken als Raubtier hatte ich wohl nicht solche Blutgier in mir.
»Ich habe das Ferkel.« Ich ließ den Müllsack auf den Boden fallen und deutete darauf. »Also, kannst du
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