Vampirnacht
erdrückend. Ich verzog das Gesicht. Die Farbe an sich war hübsch – nicht blaugrün wie das Meer, sondern tiefblau wie Kobaltglas, so dass ich mir vorkam wie unter Wasser in einem Swimmingpool.
Die Einrichtung war schlicht, das Herzstück bildete ein niedriger Konsolentisch an der gegenüberliegenden Wand. Auf diesem Tisch sah ich einen Kristallkelch, eine große Säulenkerze, eine kleine Phiole mit … irgendwas, einen Silberdolch mit beinernem Griff und ein Dutzend rote Rosen. Beleuchtet wurde der Raum durch Lichtkacheln in den Wänden. Vor dem Tisch lagen zwei große Bodenkissen – mehr Mobiliar gab es nicht. An einem Wandhaken hing ein schlichtes weißes Kleid, das mich an ein griechisches Gewand erinnerte.
»Zieh dich um, während ich mich auf das Ritual vorbereite.« Roman wandte sich ab und ließ mich allein.
Ich war zu klug, um auf dem Altar herumzuschnüffeln. Auf keinen Fall wollte ich das hier irgendwie versauen. Ich schlüpfte aus meiner Jeans, zog mein Shirt aus, ließ das Gewand über meinen Kopf gleiten, drapierte es und knotete den schlichten Gürtel zu. Es fühlte sich elegant an und wie einer anderen Zeit entsprungen. Nachdem ich vergeblich nach einem geeigneten Platz für meine abgelegten Klamotten gesucht hatte, brachte ich sie schließlich aus dem Raum und ließ sie im Flur liegen.
In diesem Moment kam Roman zurück. Er trug ein langes, purpurrotes Gewand, gegürtet mit einer goldenen Schärpe. Eine goldene Krone saß auf seinem Kopf, und das Haar fiel ihm offen über die Schultern. Er war jeder Zoll ein Prinz, und obwohl wir uns schon länger kannten, wurde mir erst jetzt wirklich bewusst, dass er der Sohn von Blodweyn war. Ein Stoß durchfuhr mich, und ich stieß einen Laut der Überraschung aus.
Das entging ihm nicht. »Sehr wenige haben mich je in meiner höfischen Gewandung gesehen.« Er fragte nicht, ob mir diese Aufmachung gefiel, sondern bedeutete mir nur, in den Ritualraum voranzugehen.
Wir betraten die Kammer, und ich wartete auf seine Anweisungen.
»Knie dich auf das rechte Kissen.«
Ich gehorchte. Er schloss die Tür und kniete sich mir gegenüber. Er wirkte so gelassen und trug seinen Putz so selbstverständlich, dass mir klarwurde, wie wenig ich von ihm und seiner Dynastie wusste. Blodweyn hatte ihren Thron wieder bestiegen. Roman hatte mir von seiner Mutter erzählt, aber gewiss nicht alles, oder? Hatte er die Wahrheit gesagt, was ihre Absichten anging? Und wie sollte ich das herausfinden?
»Weißt du, wie die Vampire einst entstanden, Menolly?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß ich nicht. So etwas haben wir nicht in der Schule gelernt, und zum Rehabilitationsprogramm des AND gehörte es auch nicht.« Ich hatte Roman von jener Zeit erzählt – von meinem Jahr des Wahnsinns und dem mühsamen Kampf, bis ich wieder bei Verstand gewesen war.
»Niemand weiß, wann es geschah, aber es war lange vor jeder Geschichtsschreibung, lange vor der Großen Spaltung. Die Menschheit hatte sich zu Bewusstsein und logischem Denken entwickelt, und eine Schamanin aus einem Dorf begehrte die Unsterblichkeit, wie die Feen sie besaßen.«
»Aber die Feen sind nicht unsterblich. Sogar die Elfen sterben. Selbst die Götter«, flüsterte ich.
»Das ist wahr«, sagte Roman, »doch die Sterblichen wussten das nicht. Was ist schon ihre Lebensspanne im Vergleich zu der einer Fee? Ein Flüstern im Wind. Der Name der Schamanin ist uns als Kesana überliefert. Sie wollte herausfinden, wie sie die Unsterblichkeit der Feen erlangen könnte, und begab sich in der Traumzeit auf die Suche nach der Antwort. Stattdessen stieß sie auf Dämonen … Dämonen, die sich von Lebensenergie nährten.«
»Wie Vanzir? Traumjäger-Dämonen?«
Roman zuckte mit den Schultern. »Genau weiß das niemand. Wir wissen nur, dass sie ihr versprachen, sie werde endlos lange leben, wenn sie ihnen erlaubte, sich mit ihrer Seele zu vereinen. Also erklärte sie sich einverstanden. Das Ritual führte sie in den Tod. Sie starb und wurde im selben Körper wiedergeboren – doch sehr verändert. Sie alterte fortan keinen Tag mehr, doch sie hungerte nach Blut.«
»Die Blutlust …« Ich hatte mich schon gefragt, welche Rolle Blut genau in unserer Mythologie und Geschichte spielte. Romans Erzählung klang plausibel.
»Ja, die Blutlust. Kesana stellte fest, dass sie umso stärker wurde, je mehr sie sich von anderen nährte – je mehr von ihrem Blut sie trank. Und dank ihrer schamanischen Fähigkeiten fand sie
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