Vampirsaga 02 - Honigblut
unruhigen Gefühlen. Die Anwesenheit war so schwach, dass der Mensch entweder das perfekte „in sich ruhen“ gefunden hatte, ein Nirwana, um das ihn jeder Suchende beneiden würde, oder er schlief.
Xylos tippte auf Letzteres.
Seine Tochter? Der Callboy verwarf den Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Mit vielem würde Magnus dir trauen, aber nicht mit seiner Tochter.
Vorsichtig schob sich der Vampir in die Wohnung, suchte nach versteckten weltlichen und psychischen Fallen, mit menschlichen und unmenschlichen Sinnen. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Schließlich hatte Morna ihrem Bruder auch nicht zugetraut, dass er sie vernichten würde.
Doch es gab nichts. Keine Fallen, keine Täuschungen. Es war einfach nur eine wunderschöne, liebevoll eingerichtete Wohnung mit einem Balkon zur Südseite, für den andere Menschen töten würden.
Fotos zeugten davon, dass diese Wohnung einmal Sofia gehört hatte und im Grunde immer noch gehörte. Auf einigen Bildern war sie mit ihrer Zwillingsschwester zu sehen. Der Unterschied zwischen ihnen schien so prägnant, dass er beinahe schmerzte. Wo Sofia lebenslustig war, wirkte ihre Schwester betrübt. Der Hauch Melancholie in ihren Augen machte Xylos traurig. Eine schöne Frau sollte nie traurig sein!, dachte er und wunderte sich im nächsten Moment über sich selbst. Was denkst du denn da? Wahrscheinlich projizierst du deine Schwäche für Sofia nun auf ihre tote Schwester.
Er trat näher an das Bild. Nur weil Melanie nicht die große Macht ihrer Schönheit verstanden hatte, war sie noch lange nicht gut gewesen, noch lange nicht wie Sofia, die freiwillig auf Spiele und Macht verzichtete.
Er warf seine kurze Rührung ab und schlich leise weiter, bemüht, den Menschen im Nebenraum nicht aufzuwecken. Erst als er im Schlafzimmer stand und ungläubig in das Gesicht starrte, welches ihn in seinen Träumen verfolgt hatte, gab er einen Laut von sich.
Sein wütendes Heulen klang wie das eines in die Ecke gedrängten Tieres, während er im Stillen Magnus und seine Pläne verfluchte, hoffte, dass es Sofia war, die plötzlich die Augen öffnen und „Buh“ rufen würde.
Die Frau auf dem Bett regte sich nicht, schien seine Anwesenheit nicht zu bemerken.
„Das kann nicht sein!“, behauptete Xylos und ging wie betäubt um das Bett herum. Natürlich ist es möglich. Es ist ja offensichtlich, dass es möglich ist, aber wie … wann? Jennifer Schreiner Honigblut
Der Vampir kniete neben dem Bett nieder und beobachtete, wie die regelmäßigen Atemzüge Melanies Brustkorb hoben und senkten.
Vampirschlaf!
Wieder verfluchte er Magnus. Sofia hatte Xylos erzählt, was am Abend nach ihrer Umwandlung in einen Vampir geschehen war, und dass sie ihre Schwester getötet hatte. Doch dieses Wesen auf dem Bett war eindeutig nicht tot!
Sofia musste sich geirrt haben. Er konnte sich vorstellen, wie sie sich gefühlt haben musste, von Hunger und Angst gequält und mit einer suizidgefährdeten Schwester konfrontiert, die den Tod mit offenen Armen empfangen hatte.
Aber Sofia hatte sie nicht getötet. In ihrer Verwirrung hatte sie zwar Melanies Blut getrunken – viel Blut – aber sie nicht getötet. Vielleicht hatte Magnus sogar Sofias Vorstellung manipuliert und ihr Melanies Tod nur vorgegaukelt, bevor er die Frau in den Vampirschlaf versetzte.
Dieser raffinierte Intrigant! Xylos wusste nicht, ob er Magnus verachten oder bewundern wollte. Der Alte ging wirklich bis an die Grenzen, um seine Pläne auszuführen.
Xylos Lächeln verblasste schlagartig. Was war Magnus letzter Plan? Hatte er Sofia herbringen wollen, oder hatte der alte Fadenspinner Xylos die Frau zugespielt?
So wahrscheinlich Xylos die Idee vorher vorgekommen war, dass Magnus ihm absichtlich den Schlüssel gegeben hatte, um ihn zum Herkommen zu bringen, desto abwegiger wurde der Gedanke nun. Magnus würde eine Frau nicht Xylos ausliefern, oder?
Das blutrote Kleid, welches Melanies Gestalt bedeckte, sie umschmeichelte wie eine zweite Haut, sprach eine andere Sprache. Xylos hasste sich selbst dafür, den Schlüssel nicht einfach Sofia gegeben zu haben. Jetzt war es zu spät. Er war in Magnus‘ Falle getappt und sein Interesse war geweckt. Immer wieder glitt sein Blick zu Melanies weichem Hals, zu ihrem kaum sichtbaren Puls.
Sie ist mein! Xylos schüttelte den Kopf, um den störenden Gedanken zu vertreiben. Wenn er Melanie aufweckte, würde sie sterben. Ebenso
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