Vampirwelt
Er wartete.
Auf was eigentlich?
Kälte drang in die Küche.
Sie war ihm bekannt. In seinen Träumen hatte er sie erlebt, und sie war nicht vergleichbar mit der Kälte, die der Winter brachte.
Und plötzlich sah er die Frau.
Sie stand auf der Schwelle, sie lächelte ihn an, ihr Haar schimmerte rötlichbraun, sie lächelte ihn an, und sie hatte dabei auch ihre Oberlippe zurückgezogen.
Zwei lange Zähne schimmerten wie gelblich angemalte Pfeile – Vampirzähne.
»Da bist du ja«, sagte sie im Flüsterton. »Ich habe dich in einer anderen Gestalt gespürt. Ich mag es nicht, wenn Fremde unsere Welt erreichen. Aber jetzt bin ich hier.«
Barry F. Bracht wunderte sich, daß er trotz allem eine Frage stellen konnte. »Was willst du?«
Sie hob den rechten Arm und streckte ihn vor. Beinahe wie in einem Film bewegte sie sich. Die Spitze des Fingers wies auf die Brust des Barry F.
Bracht. »Ich will dein Blut!«
***
Und Blut rann auch aus der Nase des Mannes, der mir gegenübersaß und es wohl noch nicht bemerkt hatte, weil er nach wie vor seine Hand gegen Stirn und Augen preßte.
Auch ich beobachtete irgendwie fasziniert diesen Vorgang, obwohl ich eigentlich hätte aufspringen oder ihn zumindest davon in Kenntnis setzen mußte, daß er blutete. Ich tat es nicht.
Hatte er Schmerzen?
Einen Schrei hörte ich nicht, selbst der Atem war nicht zu verstehen. Er blieb still.
Die beiden dünnen Blutfäden hatten mittlerweile den Rand der Oberlippe erreicht und flössen darüber hinweg. Alles geschah sehr, sehr langsam und schien von Tommy auch nicht zur Kenntnis genommen zu werden.
Seine Lippen wurden wie von zwei Hosenträgern bedeckt, die nicht endeten, sondern jetzt die Haut auf dem Kinn erreichten. Von dort aus würden sie ihren Weg weiterfinden, den Hals entlanglaufen, dann…
Er nahm die Hand von der Stirn weg.
Ich starrte ihn an.
Tommy saß da wie versteinert. Er hatte die Augen verdreht, und zum erstenmal zuckten seine Lippen. Dann öffnete er den Mund. Im Studio hatte er schrecklich geschrien, ich hatte diesen Schrei im Radio gehört, und erlebte ihn nun live.
Er brüllte. Den Oberkörper hatte er zurückgedrückt. Sein Mund erinnerte mich an eine verdrehte Öffnung, und aus der Nase strömte noch mehr Blut hervor.
Ich war längst aufgesprungen und zu ihm gelaufen. Die Hände hatte Tommy zu Fäusten geballt und sie auf die Lehnen des Sessels gepreßt.
Mit den Füßen scheuerte er über den Boden und schabte dort den Teppich blank. Sein Oberkörper schlug aus wie ein Pendel. Einmal nach rechts, dann wieder nach links. Zuckungen schüttelten den Körper durch.
Er schrie nicht mehr laut, Tommy wimmerte, als ich mich über ihn beugte und beide Hände auf seine Schultern legte.
Er sackte noch in seiner sitzenden Haltung zusammen und wurde unter meinem Griff schlaff.
Ich hatte schon ein Taschentuch hervorgeholt und reichte es ihm. Er nahm es nicht wahr. So säuberte ich den unteren Teil seines Gesichts und stellte fest, daß glücklicherweise kein Blut mehr nachfloß.
Es war riskant, ihn allein zu lassen. Ich tat es trotzdem und besorgte ein Glas Wasser. Als ich zurückkehrte, saß er noch immer in der gleichen Position. Nur hatte er den Kopf etwas gedreht und schaute dorthin, wo er zahlreiche LP’s und Kompakt Disks in einem deckenhohen Regal verstaut hatte.
»Sie müssen trinken.«
Zum Glück hatte er mich verstanden. Mit beiden Händen umfaßte er das Glas. Er brachte den Rand an seine zitternden Lippen und nahm das Wasser in kleinen Schlucken zu sich. Sein Hals bewegte sich, als er schluckte.
Ich suchte sein Gesicht ab, zum Glück quoll kein frisches Blut aus irgendeiner Pore.
Als das Glas leer war, nahm ich es wieder entgegen und stellte es zur Seite. Ich war auch froh, daß Tommy tief durchatmete. Meine Frage, nicht sehr originell, folgte automatisch. »Wie fühlen Sie sich, Tommy?«
Er schwieg und preßte die Handflächen gegen die Wangen.
»Bitte…«
»Es war wieder da«, flüsterte er. »Das Grauen und die Schmerzen haben mich erreicht. Sie tobten in meinem Kopf. Ich… ich… habe es nicht gesehen…«
»Was, bitte?«
»Das Blut.«
»Ja, sie bluteten aus der Nase.«
Er deutete ein Nicken an. »Warum?« fragte er, »warum gerade ich? Was ist da los?«
»Ich weiß es noch nicht. Aber was haben Sie in dieser Zeit erlebt? Konnten Sie wieder in diese andere Welt hineinschauen?«
Er wartete einen Moment mit der Antwort. »Nein, diesmal nicht, Mister Sinclair.«
»Aber Sie haben trotzdem
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