Vanilla High (German Edition)
hetze der schwarzen Ledergestalt hinter her. Immer noch ihren Arsch vor Augen. Sie ist sehr schnell und ich kann kaum folgen. Wir sind längst draußen, wir bewegen uns in den Wald. Manchmal scheint es mir so, dass ihr Hintern fluoresziert, nur so kann ich ihr folgen. „Schneller, du Wichser! Schneller Sklave!“ So ist sie nun mal. Aber vielleicht hat sie mich doch irgendwie gern. Warum sollte sie sich auf den Weg nach Kanada gemacht haben? Die Logistik des Anschlags funktionierte auch ohne sie. Sie ist hier hingekommen, weil sie mich liebt, weil sie mich retten wollte. Immer noch hefte ich meinen Blick an ihren schwach leuchtenden Hintern, versuche ihm zu folgen, aber sie ist sehr schnell. Es muss das Ganja sein, dass die Lumineszenz des Hinternteils hervorbringt, aber ich kann kaum noch folgen. Ich stolpere. Auf einmal ist um mich herum nur Schwärze, von dem Hintern gibt es keine Spur mehr. Stattdessen höre ich das Gebell von Polizeihunden. Ich laufe weiter, weiß aber nicht wohin. Weg von den Hunden, hin zu Alina, von der ich nicht weiß, wohin sie gerannt ist. Die Hunde, meine Verfolger scheinen näher zu kommen. Kurzatmig hetze ich weiter, ins völlig Unbekannte. Ich war nie ein besonders guter Läufer, tausend Meter waren für mich immer wie Marathon. Ich bewundere die Tabok, die mit hohen Geschwindigkeiten die komplette Insel La Reunion umrunden können und das tun sie gerne. Ich hetze weiter und fürchte, dass mir die Luft ausgeht. Nur die Tabok können mir helfen, aber warum sollten sie mir helfen? Ich habe ihre Anlage in die Luft gejagt, genau genommen eine Anlage, die nach ihren Plänen gebaut wurde; für die sie vielleicht Milliarden kassiert haben. Sie können es nicht gutheißen, dass ich ihr Baby in die Luft gejagt habe. Sie werden mir nicht helfen. Ich gelange auf eine Lichtung, die ein wenig vom Fastvollmond ausgeleuchtet wird. Keine Spur von Alina. Der Mond erinnert mich an die Mondschaukel im Park meines Bruders; dort sind selbst die Kleinen noch, wenn die Sonne längst untergegangen ist und der kleine Platz von Mond und den Sternen beleuchtet wird. Um mich herum das Hundegebell. Das Netz schnürt sich um mich zu. Ein großes Tier kommt auf mich zu. Es ist auffällig ruhig, hat gelbe Augen, die leuchten. Ich habe keine Angst mehr. Es kommt mir sehr nahe. Ich streichle es. Es soll mich nicht verraten. Es kann kein Polizeihund sein; es ist ein Wolf. Will er mir den Weg zeigen? Ein Moment des Friedens unter fremden Sternenhimmel. Licht leuchtet auf. Der Wolf beginnt zu heulen. Schüsse. Es trifft das Tier, dann zerfetzt ein Geschoss meinen Oberschenkel. Man hat meinen Kopf im Visier, drückt ab. Etwas zerplatzt und ich bin bei Gott. Etwas ungläubig öffne ich die Augen, brauche einen kurzen Moment der Orientierung. Auf dem Tisch liegt eine halbe Flasche Gin, daneben eine Bibel. Ich muss mich in meinem Motelzimmer befinden. Ich habe geträumt, ich habe ein erstes Mal (seit sehr langer Zeit) geträumt. Ich greife zur Bibel und suche ihren Trost.
Diese Bergwelt ist endlos. Ich befinde mich weiterhin auf der Trans Canada, so heißt sie immer noch, obwohl Kannada nur noch ein geografischer Begriff ist. Zig Millionen sind in den letzten zwei Jahrzehnten aus dem Kernland der USA eingewandert, um den katastrophalen Folgen des Klimawandels zu entkommen. Farmer aus Texas, aus Louisiana und anderen südlichen Staaten haben versucht, hier eine neue Existenz aufzubauen. Die Bevölkerung von Ex-Kanada hat sich mehr als verdreifacht und trotzdem, obwohl ich mich vergleichsweise südlich auf der Trans Canada befinde, ist dies ein sehr dünn besiedeltes Land, aber das waren die USA schon immer. Ich verzichte darauf, auf meinem Weg nach Osten Schleichwege zu nehmen, fühle mich mit meiner neuen Identität vergleichsweise sicher, obwohl die Päckchen immer noch Rätsel aufgeben. Was ist möglich? Genauso gut, wie es möglich ist, dass in meinem nächsten Motel in Calgary ein zweites Päckchen auf mich wartet, um mich mit dem bitteren Gesöffs zu verwöhnen, kann es sein, dass Topterroristin Alina Magdalena auf mich wartet, um Weiteres zu besprechen und um sich versohlen zu lassen. Möglicherweise wartet Elisabeth auf mich, die ebenfalls fliehen musste. Irgendetwas weiß darüber Bescheid, wo ich mich befinde. Es sind noch fünfzig Meilen bis Calgary. Ich bin fast den ganzen Tag gefahren, habe mich durch diese Wunderlandschaft fahren lassen, vorbei an größeren Seen, ahne, wie großartig die Schöpfung ist,
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