Vanilla High (German Edition)
ungeschoren, aber möglicherweise wirft man jetzt einen näheren Blick auf sie, möglicherweise gibt es irgendetwas, womit sie sich verdächtig gemacht hat, einer Untergrundorganisation anzugehören. Vielleicht findet man dies jetzt raus. Dann ist die Verbindung zu mir klar. Nein, ich werde bei meiner Arbeit mein Bedauern und meine Abscheu ausdrücken, somit nichts unklar bleibt. Ich werde nicht meine Sympathie für diesen Anschlag ausdrücken, ich werde keine dialektischen Diskussionen starten, die die Pros und Cons der Lebensverlängerung ausleuchtet, nein nichts von allem. Dies hätte ich vor dem Anschlag gekonnt. Ich habe mich selbst ausgebremst. Vielleicht sollte ich nach Europa gehen. Dort hätte man vielleicht ein besonderes Interesse an meinen Inselansichten, an meinen Erfahrungen mit den Tabok und allem. Mein Beruf ist es, sich mit Worten auszudrücken, aber alle Argumente, die ich gegen die Lebensverlängerung gefunden habe, sind irgendwo in der einen oder anderen Weise gesagt worden. Ich wäre vielleicht eine weitere Stimme. Der Anschlag, an sich einzigartig, wird eine viel größere Bedeutung für die Diskussion haben als irgendwelche journalistische Tätigkeiten von mir. Tja, ich könnte ein Geständnis in Form eines Buches rausbringen mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg, aber ich wäre mir noch nicht mal sicher, ob ich mich dann weiter auf der Insel frei bewegen dürfte. Möglicherweise geschähe das Undenkbare und ich würde in die Staaten abgeschoben, ausgeliefert einer brutalen Justiz, die sich zwar auf den christlichen Gott beruft, die aber trotzdem keine Gnade kennt und trotz dem Gebot „Du sollst nicht töten!“, mich auf den elektronischen Stuhl bringt, mich strangulieren lässt, mir die Giftspritze setzt oder mir in einer kleinen, für Einzelpersonen eingerichteten Gaskammer das Leben nimmt. Ich kann keinerlei Publicity für den natürlichen Tod machen, weil da ist Elisabeth, meine Liebe. Ich kann nur hoffen, dass alles gut geht, dass sie die winzigen Spuren, die wir hinterlassen haben, übersehen. Ich werde also in meinem Beitrag meine Fassungslosigkeit über den Anschlag ausdrücken. Ich hätte selbst ein Opfer sein können. Wie ich gehört habe, gab es keine Opfer. Gott sei Dank! Es ist alles planmäßig gelaufen. Nein, ich werde de Grey als äußerst sympathischen Menschen darstellen, der am Ziel seines Lebenstraums, die Krankheit „Altern“ zu besiegen, steht. Am liebsten möchte ich erwähnen, dass er mir, einem Freund geistiger Getränke, einen Drink spendiert hat, ein sehr sympathischer Zug von ihm; ein Schachzug von mir, der ihm, meinem Gegner weitere Schwierigkeiten bringt. Nein, das mache ich nicht. Ich will keinen persönlichen Feldzug gegen den alten Knaben führen. Die Drinks von ihm hatten für mich eine größere Bedeutung; das hat dieser Traum gezeigt. Ich kenne mich mit Traumdeutung nicht aus, aber das brauche ich auch nicht, weil ich nie träume. Der Gin stammte von einem heimlichen Helfer meiner Flucht. Es hätte de Grey sein können. Ein Krieg ist schwierig, wenn einem die Feinde nicht unsympathisch sind. Ich habe begonnen, mein Material aus den Staaten zu sondieren und zu bearbeiten, habe den alten Mann vor mir, sehe seine Freude in seinen Augen, dass die wichtigste Krankheit der Menschheit „das Altern“ und der Tod besiegt wurden, die Freude darüber, dass er es noch erleben durfte, auch wenn es eher ein kosmischer Zufall ist, dass die Tabok unter uns sind. Der Tod lässt sich natürlich nicht besiegen. Auch ein Tabok wird irgendwann sterben. Möglicherweise wird dann eine perfekte Kopie von ihm aktiviert. Aber auch diese Rückversicherung wird irgendwann, wegen eines Fehlers, eines Unfalls, einer Katastrophe ausfallen. Den Tod kann man nicht besiegen, sondern nur sehr sehr lange hinausschieben. Aber das „Altern“, mit all seinen tragischen Folgen scheint besiegt, in dem man sich gegen die göttliche Ordnung gestellt hat. Man wird nicht mehr mit Würde altern können, es wird keine Lebhaftigkeit von Kindern auf der Straße geben, es wird keine Kinderaugen geben, die einen glücklich oder erwartungsvoll ansehen, sondern nur relativ gleichgültige, scheintote Erwachsene, die sich vermutlich an die größten Teile ihres sich immer wiederholenden Lebens nicht erinnern können. Ich werde auf jeden Fall heute Abend zu meiner Familie fahren, den Abend im Park verbringen. Vielleicht treffe ich ja einen von diesen Hochintelligenten, die von ihrem Leben nicht lassen
Weitere Kostenlose Bücher