Variationen zu Emily
... aber sie verlieren keine Zeit ... zwei Fliegen mit einer Klappe, wie die Deutschen sagen ... verarzten und gleichzeitig die Polizei zufriedenstellen ... ein Auge ist offenbar futsch ... überall Blutergüsse ... aber das schlimmste sind die Gliedmaßen ... das Ansehen tut schon weh ... wie die verdreht sind ... gehören einfach nicht mehr zum Körper ... unmögliche Winkel ... und grellweiße Knochen, die durch die Haut stoßen ... drumherum das sickernde Blut ... ein Bild wie aus einer Heiligengeschichte ... da sind ja auch die Details wichtig ... Himmel, das ist so gemein ... warum bringt das Schicksal den Jungen nicht einfach um ... warum muss es diesen Körper noch dermaßen foltern ... für mich ist hier vorläufig nichts mehr zu holen ... und wahrscheinlich nie mehr ... nur noch Übelkeit und Hass auf den Kerl da oben ... der Gedanke an Rache und Vergeltung ist so schön sauber ... im eigenen Kopf, mit angenehmen, heißen Emotionen angereichert ... aber wenn man das hier sieht, verzichtet man gerne darauf ... sie wollen erst einmal die Lebensfunktionen stabilisieren und die Schmerzen bekämpfen ... das heißt Vollrausch, neues Blut, Sauerstoff und irgendeine Nährlösung ... und erst dann operieren, operieren, operieren ... damit er in den Knast gehen kann ... halbwegs auf eigenen Beinen ... nein, das glaube ich nicht ... das kriegen sie nicht hin ... das sind keine Beine mehr ... auf diesem Knochenmus kann niemand laufen ... da können sie schrauben, wie sie wollen ... und innere Verletzungen ... wissen sie noch nicht ... in einer halben Stunde Ultraschall ... wenn der Röntgenarzt mit einem anderen dringenden Fall fertig ist, machen sie eine Tomographie ... dann ist er tot ... na ja, was hätte er zu erwarten ... wenn er überlebte ... Jahre hinter Gittern ... und wenn er herauskommt, ist er immer noch ein Wolf ... aber einer, der dazugelernt hat ... und womöglich skrupelloser geworden ist ... das Gefängnis ist keine gute Schule ... der in einer liberalen Gesellschaft übliche Kampf zwischen Sühne und Abschreckung ... und der Vorbereitung auf ein ehrliches, gewaltfreies Leben ... ein Kompromiss, der weder das eine noch das andere erreicht ... hör auf, Doreen ... zu schwierig für dich ... oh, er öffnet ein Auge ... das eine, das er noch hat ... starrt mich an ... nein, schau weg ... ich habe Angst vor diesem Monster ... er zischt ... die eine Apparatur zeigt wilde, grüne Kurven ... nein, das gibt es nicht ... sein Ding hebt sich ... das Wort kommt mit viel blutigem Schaum aus seinem Mund ... schön, versucht er zu sagen ... unglaublich ... dass das Begehren in diesem Wrack noch lebendig ist ... er verzieht sein Gesicht zu einem Lächeln ... vorbei ... alles vorbei ... keine Kurven mehr auf den Displays ... kein saugendes Atemgeräusch ... der kleine, rosige Turm sinkt in sich zusammen ... die eine Schwester schaut mich vorwurfsvoll an ... was kann denn ich dafür ... immer derselbe Gedanke ... hätte er eine gute Frau gehabt, die er mit seinem Körper hätte glücklich machen können ... vielleicht wäre alles anders gekommen ... wir könnten so viel bewirken ... wenn wir wirklich gut wären ... und was ist mit mir ... Schluss ... Schlussstrich unter den Fall ... und Valerio ist frei ... wenn er es will ... Hektik um mich her ... sie versuchen, wiederzubeleben ... plötzlich ist auch der Röntgenarzt da ... es schmerzt mich im Innersten, wie sie mit ihm umgehen ... die Gliedmaßen sind nur noch störende Anhängsel ... das knackt, das kracht ... ist ihnen egal ... ihnen geht es um das Leben ... dieses Unfassbare, so schnell Flüchtige ... und es ist ihnen durch die Lappen gegangen ... komische Redewendung ... ich gehe ... und ich nehme den Aufzug ... scheiß auf ihre preußischen Regularien ... Valerio lebt schließlich ... braucht Schutz vor diesen Fleischmalträtierern ... uff ... wer ist denn diese Furie ... eine von unserem Südländerstamm ... und ein wenig schwanger ... nettes, kleines Bäuchlein ... sucht sicher nach ihrem Geliebten ... wie? ... Enzo sucht sie ... schreit in den menschenleeren Gängen herum ... um drei Uhr morgens unterwegs ... na ja ... Schwangere entwickeln ja angeblich komische Angewohnheiten ... Moment ... Enzo ... so heißt doch der, der da oben liegt ... hey ... ja, Enzo ... dein Freund ... nein, Bruder ... sie schluchzt ... hier ist es ja auch wie in der Sahara ... keine Hinweisschilder ... der Bruder ist hier, aber wo ... scheiße, wo lade ich die jetzt wieder ab ...
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