Vater sein dagegen sehr
vertrauenerweckenden Eindruck, daß sie nicht gezögert hatten, ihr das Geschäft anzuvertrauen. Sie war ein älteres Mädchen mit vorstehenden Schneidezähnen, und es war weder zu befürchten, daß sie die Kinder übers Ohr hauen würde, noch daß sie sich in dem Wohnraum einem lockeren Lebenswandel hingeben würde, eine Sorge, die vor allem Frau Roeckel heftig bedrückt hatte.
Lutz hatte die Abreise der Roeckels abgewartet, um die Kinder vor die Frage zu stellen, ob sie die Reise per Bahn oder per Anhalter unternehmen wollten. Und natürlich hatten sie sich mit wildem Eifer für den »Anhalter« entschieden.
Und da standen sie nun im kühlen Morgenlicht neben den aufgetürmten Koffern mit den Kleidern und Betten, Wäschestücken und Schuhen, zogen die wollbestrumpften Beine wie Störche an und rieben die blaugefrorenen Hände warm.
»Sakrisch kalt ist es schon!« meinte der Bub bibbernd.
»Überlegt es euch gut«, sagte Lutz, der seinen Einfall allmählich zu verfluchen begann, »wir haben noch immer Zeit, umzukehren und die Bahn zu nehmen.« Aber die Kinder wiesen seinen Vorschlag entrüstet zurück.
Sie waren mit den Gepäckbergen und dem Hund eine ganz stattliche Karawane, und es mußte schon ein Menschenfreund sein, der auf ihr Winken halten sollte. Wenn sie es wenigstens bis München schafften! Von München, das wußte Lutz aus Erfahrung, war es immer leichter, in den Autohöfen einen Fahrer zu finden, der sie in den Frachtraum klettern ließ. Drei Päckchen Zigaretten und ein paar Mark Kleingeld hatte Lutz vorsorglich in die Tasche geschoben.
Der neunzehnte Lastwagen donnerte an ihnen vorbei, der zwanzigste genauso, und dann der einundzwanzigste und dreiundzwanzigste; stinkend und schwarze Wolken von beizendem Öldampf spuckend, brausten sie vorüber und verschwanden in den Dunstschleiern, die ein leichter Wind vom Chiemsee her über die märzliche Landschaft trieb. Und dann geschah das Wunder. Der vierundzwanzigste bremste. Ein Riese ohne Anhänger. Er hielt nicht sofort. Zuerst sah es so aus, als ob auch er vorüberdonnern wolle, aber dann verlangsamte er seine Fahrt, schwenkte rechts heran und hielt, und im Einschwenken hängte sich der Beifahrer zum Fenster heraus und winkte ihnen zu und brüllte etwas, was sie nicht verstehen konnten.
»Los, Kinder!« keuchte Lutz und rannte schon, den Rucksack auf dem Buckel und je einen von den schweren Koffern in jeder Hand, auf den Wagen zu. Die Kinder stoben hinterdrein und zerrten den Bello, der sich gerade diesen ungeeigneten Augenblick ausgesucht hatte, um das Bein zu heben, erbarmungslos hinter sich her. Es war ein Weg von etwa hundert Schritten, und Lutz fühlte seine Arme erlahmen, aber er gab nicht nach.
»Wo wollts ös hin?«
»Wenn wir wenigstens bis nach München kommen!« keuchte Lutz.
Der Beifahrer kletterte aus dem Führerhaus und schnürte die Seitenplane auf.
»Kruzimuckel, is dös Madl dürr!« sagte er und sah Lutz mißbilligend an. »Kinder müssen her und wenns nix zu fressen gibt!«
Lutz reichte ihm eine Schachtel Zigaretten hin.
»Behalts, Schnapper«, knurrte der Mann halb ärgerlich und halb mitleidig, »und pack dei' Schratzn und's Glump auf! — Wohin geht die Reis', ha?«
»Eigentlich nach Würzburg — und von da noch ein kleines Stück weiter landeinwärts«, antwortete Lutz und begann, die Koffer unter die Zeltplane zu werfen. Die Bordwand war hoch, und der Schweiß rann ihm in Strömen unter dem Hutrand hervor.
»A Preiß aa no!« brummte der Beifahrer verstimmt.
»Ha, wer is hier a Preiß?« gab der Rudi giftig zurück, ohne den heimlichen Stoß zu beachten, den Lutz ihm gab. Der Mann stutzte und wurde freundlicher.
»Entschuldigens schon, Herr Nachbar«, sagte er versöhnlich, »i hät Eahna pfeigrad für an Preiß g'halten. Also nix für ungut, gell.« Er nahm Lutz den Rucksack ab und warf ihn mit spielender Leichtigkeit in den Laderaum, und er nahm auch die Kinder und hob sie über die Bordwand in den Wagen hinein. Der Rudi zappelte mit den Beinen schon im Wageninnern, als es dem Beifahrer einfiel, ihn — vielleicht zur Versöhnung — zu fragen, ob er Lust habe, vorn im Führerhaus mitzufahren. Selbstverständlich hatte der Rudi Lust und zögerte auch nicht eine Sekunde, das verlockende Angebot anzunehmen.
»Sie, Herr Nachbar, wenn Sie auf Würzburg wollen, dann könnens ja mit uns bis auf Nürnberg mitfahrn — oder hams was in Minka z'toan?«
»Mann Gottes«, rief Lutz überwältigt, »bis Nürnberg? — Da
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