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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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– wie in den letzten Szenen von Ist das Leben nicht schön?, als George auf dem Friedhof über den Grabstein seines Bruders Harry stolpert und endlich versteht, was Clarence der Engel ihm zu sagen versucht hatte: George Bailey hatte es nie gegeben. Die Stadt, die Häuser, die Gebäude, selbst die Gesichter sahen zwar genauso aus wie in Georges Erinnerung, doch nichts war mehr, wie es war. Eine kleine Tatsache hatte die Welt verändert.
    « Clarence! Clarence! Hilf mir, Clarence», flüsterte ihre Mutter synchron mit Jimmy Stewart.
Bring mich zurück. Bring mich zurück. Mir ist egal, was mit mir passiert. Bring mich zu meiner Frau und meinen Kindern. Hilf mir, Clarence, bitte. Bitte! Ich will wieder leben! Ich will wieder leben. Ich will wieder leben. Bitte, Gott, lass mich wieder leben.» Natürlich wird im Film George Baileys Wunsch erfüllt. Er bekommt das Leben zurück, das er kannte, mit all seinen
« Warzen und Pickeln», wie ihre Mutter gesagt hätte. Aber Julia wusste, dass es im richtigen Leben nicht so lief. Egal, wie sehr sie es sich wünschte, sie konnte die Wahrheit nicht rückgängig machen, nach der sie gegen alle Warnungen gesucht hatte. Für sie würde es kein Happy End geben. Es ist zu nahe dran, Julia. Zu nahe. Bitte. Lass die Finger davon. Es bringt nur – Verzweiflung. Hastig sammelte sie ihre Akten ein und beobachtete im Augenwinkel, wie die Wachmänner David Marquette – der Hülle von ihm, die in dem übergroßen Overall steckte – wieder Handschellen und Fußfesseln anlegten. Er ist ein Monster. Ein Psychopath. Wie ein Chamäleon wird er sich in die Person verwandeln, die Sie sehen wollen. Er wird die Worte sagen, die Sie hören wollen. Deswegen ist es beinahe unmöglich, ihn zu entlarven. Julia wandte den Blick ab und packte die Tasche. Die laute, ruhelose Menge der Reporter und Zuschauer schien immer näher zu kommen. Sie hatte dem Publikum den Rücken zugekehrt, doch sie hörte, wie in Dutzenden von Unterhaltungen ihr Name fiel. In diesem Moment wollte sie nur weg von hier. Bevor sie vor aller Augen zusammenbrach. Eine warme Hand tippte ihr sanft auf den Rücken.
« Ich wusste, dass Sie besser sind als er», flüsterte die vertraute Stimme in ihr Ohr, als sie Ehrhardts Beweisführung in der Tasche verstaute. Sie drehte sich um und sah Lat an.
« Aber die Chancen stehen schlecht, dass Bellido Ihnen die Lorbeeren überlässt», fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu. Sie versuchte zurückzulächeln. Sie versuchte, ganz normal zu wirken, doch sie fragte sich, ob das überhaupt noch möglich war. Die Maske würde Risse bekommen. Hinter Lat hatte das Wachpersonal den Saal geräumt und die Reporter auf den überfüllten Flur gescheucht, wo sie warten würden, bis Julia herauskam. Reiß dich zusammen. Nur noch eine Minute, dann kannst du weg von hier. Aber wohin?
« Haben Sie gehört, wie es ihm geht?»
« Bis auf das angeknackste Ego geht es ihm bestimmt bestens. Machen Sie sich keine Sorgen.» Sie stieß Luft aus.
« Was für ein Tag. Vielen Dank für vorhin. Ich – ich ...»
« Sie waren großartig. Ganz die harte Staatsanwältin. Ich war beeindruckt. Sie wirken immer so nett. Und er ...» Er verstummte, als er Marquette hinterhersah.
« Wissen Sie, Julia, mich überrascht nichts mehr. Und das verheißt nichts Gutes. Lassen Sie sich die Sache nicht zu nahe gehen.» Er legte einen dünnen Ordner auf ihr Gesetzbuch.
« Für Sie. Das Ergebnis aus dem NCIC. Ich habe auch ein Autotrackback gemacht, der Ausdruck ist ebenfalls dabei.»
« Danke», sagte sie leise, starrte die Mappe an und schluckte.
« Ich muss los», brachte sie dann nach kurzem Schweigen heraus.
« Na gut. Sagen Sie Bescheid, wenn ich noch irgendwas für Sie tun kann», erwiderte Lat und wandte sich zum Gehen. Im hinteren Teil des Gerichtssaals entdeckte Julia Steve Brill im Gespräch mit Charley Rifkin, Penny Levine und Karyn. Alle vier blickten zu ihr herüber. Brill lachte, die anderen nicht. Betreten sah Julia weg, nahm ihre Tasche und schwang sie sich über die Schulter. Dann ging sie zur Tür hinter der Richterbank, um unauffällig zu verschwinden. Plötzlich drehte Lat sich noch einmal zu ihr um und lächelte.
« Ach ja, bevor ich es vergesse – fröhliche Weihnachten.»
KAPITEL 56
    D IE LUFT war so kalt, dass jeder Atemzug brannte, und sie spürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Die Welt um sie drehte sich wie die Blaulichter, die den nächtlichen Himmel erhellten – drehte sich weiter und immer

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