Vaterland
Angestellte Einzelheiten aus dem Führerschein in den Mietvertra g ein und lachte über eines seiner eigenen Witzchen.
Als Strategie war das nicht ungefährlich. Am Morgen würde automatisch eine Kopie des Mietvertrages an die Polizei gehen, und selbst die Orpo würde sich wundern, warum sich eine ermordete Frau einen Wagen gemietet haben mochte. Aber morgen war Sonntag, und Montag war Führers Geburtstag, und Dienstag - der früheste Tag, an dem die Orpo vermutlich die Finger aus ihren Ärschen zi e hen würde - würden er und Charlie, hatte März sich übe r legt, entweder in Sicherheit sein oder verhaftet oder tot.
Zehn Minuten später überreichte man ihr während eines letzten Austauschs von Lächeln die Schlüssel eines viert ü rigen schwarze n Opels, der 10000 Kilometer auf dem T a cho hatte. Fünf Minuten danach traf März sie auf dem Parkplatz. Er gab ihr die Straßen an,
während sie fuhr. Er sah sie zum ersten Mal hinter dem Lenkrad:
eine weitere Seite von ihr. In dem geschäftigen Verkehr legte sie eine übertriebene Vorsicht an den Tag, die - das fühlte er – nicht natürlich war.
FAUSTSKIZZE DER ANLAGE von MARTIN BÜHLER [datiert 15. Juli 1943; handschriftlich; 1 Seite]
Die Empfangshalle des Prinz-Friedrich-Karl war verla s sen: Die Gäste waren für den Abend ausgegangen. Als sie auf dem Weg zu de n Treppen hindurchgingen, hielt die Empfangsdame ihren Kopf unten. Sie waren nur eine and e re der kleinen Gaunereien vo n Herrn Brecker - und am be s ten wußte man davon nicht allzu viel.
Ihr Zimmer war nicht durchsucht worden. Die Bau m wollfäden hingen noch dort, wo März sie eingeklemmt ha t te: zwischen Tür un d Türrahmen. Und als er im Innern L u thers Koffer unter dem Bett hervorzog, war das einzelne Haar immer noch durch das Schlo ß geschlungen.
Charlie stieg aus ihrem Kleid und legte sich ein Han d tuch um die Schultern.
In dem Badezimmer am Ende des Ganges beleuchtete eine nackte Birne ein schmuddeliges Waschbecken. Eine Badewanne stand au f Zehenspitzen, auf Eisenklauen.
März ging ins Zimmer zurück und schloß sich ein, i n dem er erneut den Stuhl gegen die Tür stemmte. Er stapelte den Inhalt des Koffer s auf dem Ankleidetischchen – die Karte, die unterschiedlichen Umschläge, die Protokolle und Den k schriften, die Berichte,
einschließlich des einen mit den statistischen Kolumnen, geschrieben auf der Maschine mit den übergroßen Buc h staben. Einige de r Papiere knisterten vor Alter. Er erinnerte sich, wie er und Charlie den sonnendurchleuchteten Nac h mittag hi n durch dagesessen hatten,
währen d draußen der Verkehr vorüberrumpelte; wie sie einander die Beweisstücke zugereicht hatten - zuerst voller Err e gung, dann sprachlos,
dann ungläubig, dann schweigend, bis sie zu dem Beutel mit den Fotografien kamen.
Jetzt mußte er es systematischer angehen. Erzog sich e i nen Stuhl heran, räumte ein Eckchen frei und schlug das Schulheft auf. Er ri ß dreißig Blätter heraus. Oben auf jedes Blatt schrieb er Jahr und Monat, das begann mit dem Juli 1941 und endete mit dem Januar 1944
Er zog die Jacke aus und hängte sie über die Rücklehne des Stuhls.
Dann begann er, sich durch den Haufen von Papieren durchzuarbeiten, wobei er sich in seiner klaren Handschrift Notizen machte.
Ein Eisenbahnfahrplan, schlecht auf vergilbendem Kriegspapier getippt:
Tag Zug Nr. Von ab nach an
26.1. Da 105 Theresienstadt Auschwitz
27.1. Lp 106 Auschwitz Theresienstadt
29.1. Da 13 Berlin Mob 17.20 Auschwitz 10.48
Da 107 Theresienstadt Auschwitz
30.1. Lp l08 Auschwitz Theresienstadt
31.1. Lp 14 Auschwitz Zamocz
1.2. Da 109 Theresienstadt Auschwitz
2.2. Da 15 Berlin Mob 17.20 Auschwitz
Lp 110 Auschwitz Myslowitz
3.2. Po 69 Zamocz 11.00 Auschwitz
4.2. Lp 16 Auschwitz Litzmannstadt 10.48
... und so weiter, bis in der zweiten Februarwoche eine neue Endstation auftauchte. Jetzt aber waren fast alle Ze i ten bis auf die Minute ausgearbeitet:
11.2. Pj 131
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