Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Renwick, S: Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Mists of Velvet - The Immortals of Annwyn Book Two
verständigte. Beginne beim spiegelnden Teich, schrieb sie schnell, dann folge dem Fluss, bis er in eine Höhle mündet. Dort wirst du menschliche Schriftzeichen entdecken. Am Ende wartet dein Bruder auf dich.
Sie riss die Seite heraus und drückte sie ihm in die Hand, und dann verschwand sie schnell, da ihr klar war, dass sie sich schon viel zu lange in der Halle aufgehalten hatte. Cailleach würde sie bald wieder brauchen, und Bronwnn wollte bei ihr nicht unnötig Verdacht erregen. Doch ehe sie
verschwunden war, umklammerte der König mit seinen Fingern ihr Handgelenk und hielt sie zurück. Der Zaunkönig war wieder da und saß, wie sie feststellte, auf dem breiten Fenstersims aus Stein.
»Ich stehe in deiner Schuld. Du musst mich nur um etwas bitten, dann ist das, was du wünschst, dein.«
Sie wandte sich um und sah ihn an. Ich will das, was du hast, dachte sie im Stillen. Eine Liebe, so mächtig und wunderschön wie deine. Ich will zu jemandem gehören und möchte, dass dieser jemand zu mir gehört.
Trotz der Dunkelheit erkannte er sein Spiegelbild. Seine Augen vermochten alles zu durchdringen, so waren sie beschaffen – ob hell oder dunkel, gut oder böse. Er hasste, was er sah: einen Menschen namens Aaron.
Dies war selbstverständlich nicht sein richtiger Name und auch nicht sein tatsächliches Erscheinungsbild. Er verachtete diese Menschlinge, ihre Sterblichkeit, ihre Stellung im Himmel. Es ging ihm gegen die Natur, seine Größe unter dieser Hülle zu verbergen. Doch die Zeit war noch nicht reif, sich selbst oder seine Absichten zu offenbaren. »Bald schon«, flüsterte er bei sich. Bald würde er sein Dasein als Chamäleon beenden. Dann würde er die Mächte von Himmel und Erde beherrschen, hier im Reich der Sterblichen, aber auch die Macht über die Sommerlande und die Schattenlande in Annwyn haben.
Die Schwarzen Künste, so dachte er amüsiert, waren gar nicht mal so schwer zu meistern. Nicht für jemanden wie ihn. Die Hexe Morgan war eine höchst angenehme Lehrmeisterin gewesen. Doch mit ihr war er jetzt fertig. Ihr Tod war sowohl notwendig gewesen als auch erfreulich. Sie hatte
ihm alles beigebracht, was sie wusste. Und als er die Talente der Hexe dann vollständig ausgeschöpft hatte, hatte er sich an jemand anderen gewandt, an jemanden, der äußerst geschickt mit Sex- und Todeszaubern war. Aber wie Morgan hatte auch sie irgendwann ihre Schuldigkeit getan und war ihm nicht länger nützlich. Was er jetzt brauchte, waren noch mehr Opfer – menschliche Opfer; Opfergaben an die Schwarzen Künste, damit seine Magie zunehmen konnte. So vieles konnte man in Annwyn lernen – viel mehr noch als im Reich der Sterblichen.
Und er lernte ständig dazu, wuchs und wurde allmählich zu einem der mächtigsten Wesen, das zwischen beiden Welten wandelte.
Ketten schlugen aneinander, ein Ächzen übertönte das durchdringende Kreischen von Metall, das auf Stein traf. Sein Gefangener begehrte wieder einmal auf, trotz der Tracht Prügel, die er ihm soeben hatte angedeihen lassen.
Er schlenderte auf die nackte, schmutzige Gestalt zu, dann bückte sich der Magier, griff sich eine Handvoll schwarzen Haars und riss den Kopf seines Gefangenen daran nach hinten.
»Warum willst du nicht endlich sterben?«, fauchte er.
»Weil ich vorher noch etwas zu erledigen habe«, kam die kraftlose Antwort.
»Nach tausend Jahren?«, fragte er angewidert. »Es ist nichts mehr von der Welt übrig, so wie du sie kanntest, Bruder. «
Sein Gefangener, dessen Körper und Geist schwach waren, hatte offensichtlich immer noch genügend Kraft, um sich über ihn lustig zu machen. »Ich habe etwas, was du nicht hast, und das ist mein Glaube.«
»Glaube ist etwas für die Sterblichen«, spie er aus. »Nicht für Kreaturen deiner Art.«
»Bist du denn nicht von derselben Art wie ich?«
»Sei still!«, blaffte er und schleuderte den Kopf des Gefangenen gegen die Wand der Höhle. »Du weißt nichts über mich.«
»Du hast mich erblinden lassen, Bruder, aber deine Stimme erkenne ich immer noch wieder. Selbst nach all dieser Zeit erkenne ich sie noch.«
»Du warst schon immer ein dummer, blinder Idiot, Camael. Blind für alles, außer für deine eigenen Wünsche.«
»Meine Wünsche unterscheiden sich nicht so sehr von deinen. Ich war gierig nach dem Fleisch einer Göttin. Du hungerst nach Macht. Du willst ein Königreich beherrschen, Uriel, weil du aus dem Reich Gottes verbannt wurdest.«
Er hatte seinen Namen so lange nicht mehr
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