Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Renwick, S: Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Mists of Velvet - The Immortals of Annwyn Book Two
ihn mit der Spitze ihres Schuhs sanft an der Hand an, um zu sehen, ob er ein Lebenszeichen von sich gab – doch nichts.
Sie trat einen Schritt zurück, und fast hätte sie laut aufgeschrien, als sich seine Hand ganz plötzlich um ihren Fußknöchel schloss. Er war also bei Bewusstsein. O Gott, und
noch dazu bewegte er sich auf sie zu, benutzte ihren Fuß als Stütze, während er sich näher an sie heranzog.
Der Mann machte keinerlei Geräusch, als er seinen Oberkörper von dem eiskalten Boden hochwuchtete. Langsam hob sich sein schwarzes Haupt, bis sie einen Blick auf seine vollen Lippen und ein sehr markantes männliches Kinn erhaschen konnte. Ein Windstoß fegte ihm das lange Haar aus dem Gesicht.
Sie schwankte, rang nach Luft und trat einen Schritt zurück, gerade als er auf die Beine kam und seinen hochgewachsenen Körper vor ihr aufrichtete. Nun stand er vor ihr, ein wenig unsicher zwar noch, doch sein Blick war klar. Sie schluckte, betrachtete sein Gesicht und die wunderschönen Augen, die sie funkelnd anstarrten.
Sie hatte noch nie zuvor so jemanden wie ihn gesehen. Seine linke Gesichtshälfte war mit Tätowierungen von sonderbaren Symbolen überzogen, die Ornamente rankten sich hoch bis zur Stirn, zum Augenlid, über seine Wangen und bis zu seinem Mund. Und auch im Mundwinkel waren seltsame Zeichen zu sehen.
Sie betrachtete sein Gesicht – und der Anblick ließ ihren Körper beben.
Es war fast so, als hätte jemand eine unsichtbare Linie direkt in der Mitte des Gesichts gezogen, um seine Schönheit zur Hälfte zu zerstören, und zwar mit voller Absicht. Während die eine Hälfte verschont geblieben war, wurde er mit der anderen Hälfte jedes Mal wieder konfrontiert, sobald er in den Spiegel blickte. Und ebenso quälte ihn die verschonte Seite, die im Stillen flüsterte: »So sah ich früher einmal aus.«
Er sagte kein Wort, blickte nur weiter in ihr Gesicht mit
diesen unglaublich faszinierenden Augen. Ein Schatten bewegte sich vor den Bäumen, und ihr Blick schnellte in die Richtung. Da waren Flügel. Wenn der Mann seine Schultern bewegte, tanzten auch die Schatten hinter ihm.
Rowan streckte schon die Hand danach aus, doch im letzten Moment zuckte sie wieder zurück. Die Wolken über ihnen teilten sich, woraufhin ein schmaler Streifen Mondlicht zwischen den Bäumen, die um sie herum standen, hindurchdrang. Sein Schein offenbarte Rowan, was sie insgeheim gefürchtet hatte; die Male im Gesicht des Engels waren dieselben wie die auf Keirs Körper.
»Mein Gott, wer bist du?«, fragte sie.
Er trat einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand nach ihr aus. »Du siehst aus wie sie.«
»Wie wer?«
»Deine Mutter.«
Rowan holte tief Luft und ließ zu, dass er ihr mit den Fingern über die Wange streifte. »Und w-wer bist du?«
Die Vision begann zu schwinden, Rowan spürte, wie ihr Körper zurück in Richtung Spiegel gezogen wurde. Er griff nach ihr, und nur knapp verfehlten sich ihre Hände. Doch sie hörte seine Stimme, die um sie herum flüsternd zu hören war.
»Ich bin deine Zukunft.«
Sie schüttelte den Kopf. Nein, das konnte nicht wahr sein. War dies der Engel, der sie mitnehmen würde, wenn sie starb? Ein Schmetterling, dessen Flügel von einer erstaunlichen Mischung aus weißen und leuchtend blauen Ornamenten verziert waren, flatterte zwischen ihnen auf. Der Engel fing ihn in der hohlen Hand auf, dann öffnete er die Finger und ließ sie die wunderschöne Kreatur sehen.
»Du hast den Schlüssel.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, flüsterte sie und starrte auf die leuchtenden Flügel des Schmetterlings. »Ich habe nichts dergleichen. Ich weiß nichts von einem Schlüssel.«
»Der Schlüssel zu der geheiligten Dreieinigkeit. Die Heilerin, die Nephilim und das Orakel«, sagte er zu ihr. »Zwei, geboren aus ein und demselben Mutterleib, doch nicht von einem Manne stammend. Hüte dieses Wissen gut.«
Die Vision schwand, und Rowan wurde zurückgesogen, durch den Spiegel, wo ihre Seele sich schlagartig wieder mit ihrem Körper vereinte.
»Willkommen zurück«, flüsterte Keir.
»O mein Gott«, keuchte Rowan, als sie den blau-weißen Schmetterling auf seiner Schulter sitzen sah. »Was zum Teufel ist da gerade geschehen?«
»Ich glaube, wir haben in dieser Prophezeiung soeben einen sehr mächtigen Verbündeten gefunden.«
»Den Engel?«
»Nein. Dich.«
9
R hys hatte keine Ahnung, wie spät es war, denn er hatte stundenlang geschlafen, nachdem ihn der Wolf und seine Göttin allein
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