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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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keinen Grund, sie zu töten.»
    «Aber sie hat gesagt, dass der Mann hinkt. Und dieser  Mann weiß, dass er sein Hinken nicht verstecken konnte.»
    «Das reicht nicht aus, um ihn zu identifizieren. Und  auch wenn er die Absicht hätte, sie aus dem Weg zu räumen – er müsste ganz Venedig nach einem vierzehnjährigen Mädchen durchsuchen. Das ist aussichtslos.»
    «Und das Medaillon? Meinst du, die Photographie zeigt  den geheimnisvollen Liebhaber von Anna Slataper?»
    «Möglich wäre es.»
    «Was hast du jetzt vor?»
    «Spaur vorzuschlagen, das Bild in dem Medaillon photographieren zu lassen. Dann könnten wir zwei Dutzend  Abzüge auf den Wachen verteilen, ein weiteres Dutzend
    am Bahnhof und auf den Lloydschiffen.»
    «Und wenn sich herausstellt, dass der Mann auf dem Bild ein Mitglied des Generalstabs ist oder ein Botschafter?»
    «Es wäre seine Pflicht gewesen, sich bei der Polizei zu melden.»
    «Was machst du, wenn du tatsächlich an ein hohes Tier  gerätst?»
    «Darüber denke ich nach, wenn es so weit ist.» Tron  stand langsam auf, wobei er sich auf den Rand des Zubers stützte. «Gib mir bitte das Handtuch.»
    «Kommt die Principessa heute Abend zum Essen?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Nein.»
    «Sie macht sich rar», meinte Alessandro.
    «Wundert dich das?»
    «Eigentlich nicht. Hat die Contessa dir auch erzählt, wie sie sich eure Zukunft vorstellt?»
    Tron nickte. «Natürlich. Wir kündigen den Agnellis,  ziehen in die obere Etage und geben während der Saison  jeden Monat einen Ball.»
    Alessandro seufzte. «Die Contessa stellt bereits Gästelisten zusammen.»
    «Wie? Für den Maskenball im Februar?»
    «Nein. Für die monatlichen Bälle, nachdem ihr die obere Etage bezogen habt.»
    «Großer Gott.»
    «Sie hat natürlich in einem Punkt völlig Recht, Alvise.»
    «Und der wäre?»
    «Wenn ihr geheiratet habt, wird endlich Geld vorhanden  sein. Für das Dach und für die Ostfassade. Die Gobelins in der sala degli arazzi sind …»
    «Feucht. Ich weiß.»

    «Und dann könnten wir uns ein paar Angestellte leisten, die mir zur Hand gehen. Mein Vater hatte noch ein Dutzend Leute unter sich. Ich muss praktisch alles allein machen.»
    «Fängst du jetzt auch an, mich zu drängen?»
    «Absolut nicht. Weil ich gut verstehe, dass ihr nicht nach oben ziehen wollt. Aber Tatsache ist auch, dass sich der Palazzo Tron allmählich auflöst, Alvise.»
    «Und was schlägst du vor?»
    «Im Idealfall nehmt ihr das Hauptgebäude, und die Contessa bezieht einen der Seitenflügel.»
    Tron machte ein skeptisches Gesicht. «Dann müsste sie  ihren Salon räumen. Darauf lässt sie sich niemals ein.»
    «Da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn der Palazzo  Tron sich weiter in diesem Tempo auflöst, wird sie auch ihren geliebten Maskenball nicht mehr veranstalten können.
    Und um den zu retten, würde sie alles tun.»
    «Auch ihren Salon räumen und in den Seitenflügel ziehen?»
    Alessandro nickte. «Ich denke schon.» Er hielt einen  Moment inne. Dann fügte er hinzu: «Außerdem hat sie  wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen.»

    Was der Contessa, fand Tron, jedenfalls nicht anzusehen war, als sie kurz nach sieben die sala degli arazzi betrat, gefolgt von Alessandro, der seinen hölzernen Servierwagen vor sich herschob.
    Zum Auftakt servierte Alessandro eine Soupe à la Reine, anschließend Salm mit Austernsauce. Wenn es Tage gab, an denen Signora Corsini, die Köchin, sich selber übertraf, dann war heute einer dieser Tage. Tron stellte fest, dass sein Zorn auf die Contessa mit jedem Bissen schwächer wurde,  hielt allerdings an der Absicht fest, die Angelegenheit, die ihn gestern in Wut versetzt hatte, beim Dessert zur Sprache zu bringen.
    Die Bank hatte einen Kredit unter der Voraussetzung in  Aussicht gestellt, dass die Heirat zwischen ihm und der Principessa bald vollzogen würde. Dem lag die konventionelle Annahme zugrunde, dass der Ehemann nach der Heirat automatisch über das Vermögen seiner Gattin verfügen konnte – eine Annahme, die der Principessa allenfalls ein kühles Lächeln entlocken würde.
    Wie üblich zog sich Alessandro nach dem Servieren des  Desserts zurück. Als er die Tür des Gobelinzimmers schloss, lösten sich ein paar vergoldete Gipsbröckchen aus dem Stuckrahmen über der Tür und fielen auf den Terrazzofuß boden. Wenn man nicht aufpasste, zerbröselten sie dort  knirschend unter den Schuhsohlen. In letzter Zeit trat Tron immer häufiger auf solche Stuckteilchen.

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