Venezianische Verlobung
Offenbar kannte sie sich mit ausländischen Währungen aus.
«Warum erwähnst du das?»
«Falls inzwischen was fehlt – ich hab das Geld nicht.»
Woraus hervorging, dass sie sich ein realistisches Bild von der venezianischen Polizei machte.
Tron stand auf, um ihren Umhang zu holen, der neben seinem Gehpelz am Garderobenhaken hing. Sein Gehpelz sah genauso schäbig aus wie ihr Umhang.
Bevor er ihr die Tür öffnen konnte, blieb sie noch einmal stehen. Sie nestelte am Ausschnitt ihres Kleides und zog eine ovale Kapsel hervor, die an einem Kettchen hing.
«Hier.»
«Was ist das?»
Sie machte nicht einmal den Versuch, sich zu rechtfertigen. «Das Medaillon lag neben der Toten. Es enthält ein Bild.»
Tron öffnete die Kapsel und blickte auf das Bild eines bärtigen Mannes. Jemand hatte aus einer Photographie ein Oval ausgeschnitten und es in die goldene Kapsel gelegt.
Erstaunlich, dachte Tron. Für ein Mädchen wie Angelina Zolli wäre es kein Problem gewesen, irgendwo einen guten Preis für das Medaillon zu erzielen. Er sagte: «Du hättest das Medaillon verkaufen können. Es hat niemand davon gewusst.»
Ihre Augen waren ebenso kühl wie ihre Stimme. «Das Medaillon ist für die Kekse.»
12
Das Schiff hatte seine Segel bereits vor dreißig Jahren verloren, ein paar Jahre später waren seine beiden Masten gebrochen. Früher war es weiß gewesen, mit einem eleganten roten Streifen knapp über der Wasserlinie, doch im Lauf der Jahrzehnte war die Farbe abgeblättert, sodass jetzt überall die Holzmaserung zu sehen war. Im Moment trieb das Schiff langsam über eine mäßig bewegte Wasseroberfläche, drehte sich hin und wieder, wenn es ein leichter Strudel erfasste, schien zu tanzen, wenn kleine, kurze Wellen die Wasseroberfläche kräuselten. Als Trons Fuß den Bug rammte, rutschte die Ladung von Bord – ein Badeschwamm. Das Schiff kenterte, richtete sich dann aber heldenhaft wieder auf.
«Zehn Gulden Finderlohn sind ganz schön viel Geld», sagte Alessandro, der vor dem Badeofen stand. Tron konnte ihn nur undeutlich erkennen, weil das aus dem hölzernen Zuber aufsteigende heiße Wasser in der Luft kondensierte und das Badekabinett in dicke Dampfschwaden hüllte. Er richtete sich auf, und die Flutwelle drückte das Schiff an den Rand des Zubers.
«Lord Ardrey hatte bereits das britische Konsulat eingeschaltet», sagte er. «Es ging dem Lord nicht um das Geld.
Die Brieftasche enthielt wichtige Adressen. Er hat sich sogar bei ihr entschuldigt.»
«Wofür entschuldigt?»
«Für die Mühe, die es sie gekostet hat. Ich habe ihm erzählt, dass sie die Brieftasche sofort auf die questura gebracht hat. Lord Ardrey konnte es gar nicht fassen. Er war davon überzeugt, dass alle Italiener klauen.»
«Stimmt ja auch.»
«Es würde stimmen, wenn die venezianische Polizei nicht so außerordentlich effizient wäre.»
Alessandro lachte. «Worauf du bei dieser Gelegenheit nachdrücklich hingewiesen hast.»
«Seine Lordschaft stand dementsprechend kurz davor, einen größeren Betrag für die Polizeiinvaliden zu stiften.»
«Was macht das Mädchen mit dem Geld? Diese Signora Zuliani wird doch versuchen, es ihr abzunehmen.»
«Natürlich wird sie das», sagte Tron. Er angelte vergeblich mit dem Fuß nach dem Badeschwamm. «Deshalb hat Angelina mich auch gebeten, es für sie aufzubewahren.»
«Wird sie hier bei uns aufkreuzen oder in die questura kommen?»
«Sie wird es sich hier abholen.»
«Was mache ich, wenn du nicht da bist?»
«Das Geld liegt in Lire gewechselt auf meinem Schreibtisch. Sie wird nicht alles auf einmal haben wollen. Lass sie nicht ohne einen Kakao wieder gehen und stell ihr ein paar Kekse dazu hin.»
«Sie scheint dir zu gefallen.»
«Sie hat einen messerscharfen Verstand.»
«Wie ist sie zu diesen Zulianis gekommen?»
«Sie war vorher in einer anderen Pflegefamilie. Und davor auf der Giudecca.»
«Im Istituto? »
«Wo es ihr offenbar nicht sehr gefallen hat.»
«Aber sonst weißt du nichts?»
Tron schüttelte den Kopf. «Aber es wird im Istituto eine Akte über sie geben. Und die Principessa ist immer noch im Beirat.»
«Meinst du, sie kommt an die Akten ran?»
«Auf jeden Fall.»
Alessandro machte ein nachdenkliches Gesicht. «Hältst du sie für gefährdet?»
«Schwer zu sagen. Der Mann hat offenbar darauf geachtet, dass sein Gesicht im Schatten blieb. Er muss also davon ausgehen, dass Angelina ihn nicht wieder erkennen würde.
So gesehen hätte er
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