Venezianische Verlobung
resigniert. «Der Erzherzog kommt heute nach Venedig.»
Wo Maximilian zweifellos die Absicht hatte, dachte Tron, die Photographien in Empfang zu nehmen. Er fragte:
«Mit dem Lloydschiff um neun?»
Beust schüttelte den Kopf. Jetzt sah er aus, als würde man ihn geradewegs zum Galgen führen. «Maximilian kommt auf der Novara. » Er zögerte, bevor er weitersprach.
«Der Erzherzog wird den Wunsch äußern, Sie an Bord der Novara zu sehen. Auch um den Polizeibericht mit Ihnen abzustimmen. Niemand kann wünschen, dass der Name Seiner Hoheit in diesem Zusammenhang …» Der Kapitänleutnant biss sich auf die Lippen und brach den Satz ab. Es war ohnehin klar, was er meinte.
Tron sagte: «Ich bin überzeugt davon, dass wir eine Lö sung finden.» Er lächelte verbindlich. «Eine Lösung im gegenseitigen Einvernehmen.»
Im gegenseitigen Einvernehmen – ob die Botschaft bei Beust angekommen war und ob er sie an Maximilian weiterleiten würde? Der Kapitänleutnant sah jedenfalls nicht so aus, als würde sein Gehirn noch einwandfrei funktionieren.
Als Tron ein paar Minuten später zu den Polizeigondeln lief, die am Rio di Santa Caterina auf ihn warteten, war er fest entschlossen, den Polizeibericht nicht ohne Gegenleistung zu frisieren.
30
Es waren zwei Entdeckungen, die dem Fall acht Stunden später eine neue, unerwartete Wendung gaben. Die erste Entdeckung machte ein Gondoliere, dem am frühen Morgen ein sandalo auffiel, der herrenlos auf der Sacca della Misericordia trieb. Als der sandalo von einer Polizeipatrouille geborgen wurde, ergab sich, dass auf dem Boot Proviant für eine Woche verstaut war, hauptsächlich Schiffszwieback und Trinkwasser. Außerdem – und hier wurden die Sergenti stutzig – befand sich eine kleine Kiste an Bord, die eine hölzerne Kamera enthielt. Also konfiszierten sie das Boot und meldeten den Vorfall in der questura, wo eine Kombination von unwahrscheinlichen Zufällen dazu führte, dass Bossi davon erfuhr und Tron auf dem Weg zum Campo San Barnaba davon unterrichtete. Zu diesem Zeitpunkt brachte noch niemand den herrenlosen sandalo mit Pucci in Verbindung.
Die zweite Entdeckung machte Sergente Bossi unter einem losen Bodenbrett in Puccis Atelier. Die Entdeckung veranlasste ihn, von einer geschlossenen Indizienkette zu sprechen, und Tron musste zugeben, dass der Sergente wahrscheinlich Recht hatte.
Als Tron und Bossi zusammen mit zwei weiteren Sergenti kurz nach zwei Uhr die Tür von Puccis Atelier am Campo San Barnaba aufbrachen, stellten sie zweierlei fest.
Einmal, dass es in der vergangenen Nacht zu einem Ein bruch in Puccis Atelier gekommen war – die Tür zum Hof war aufgebrochen worden, wobei der Einbrecher das Schloss zerstört hatte. Zum Zweiten stellten sie fest, dass der Einbrecher zu spät gekommen war. Denn Pucci hatte seine Wohnung und sein Studio zu diesem Zeitpunkt bereits geräumt und dabei, wie Sergente Bossi es ausdrückte, haufenweise relevantes Beweismaterial vernichtet – was sich zweifellos nachteilig auf die Indizienkette auswirkte. Eine Indizienkette, die sich allerdings kurz darauf unter Mitwirkung eines wackligen Bodenbrettes und einer etwas merkwürdig aussehenden Ausgabe des Romans I Promessi Sposi, die sich unter dem Bodenbrett befand, auf überraschende Weise wieder schloss.
Denn bei den Promessi Sposi handelte es sich in Wahrheit um eine als Buch getarnte Kassette, die das enthielt, was der Einbrecher wahrscheinlich gesucht hatte: ein halbes Dutzend gestochen scharfer Photographien, die Anna Slataper zusammen mit Gutiérrez zeigten. Sie belegten, dass Ettore Pucci kein Freund künstlerischer Innovationen war, sondern lieber auf Bewährtes zurückgriff. Wie der Erzherzog lag auch der Botschafter unbekleidet im Tiefschlaf auf dem Rücken, während Anna Slataper mit freudloser Laszivität in die Kamera starrte.
«Auf jeden Fall», sagte Tron zwei Stunden später an Bord der Novara zu Erzherzog Maximilian, «war es jemand, der in Puccis Pläne eingeweiht gewesen sein musste. Er kannte Zeit und Ort der Übergabe. Und wahrscheinlich wusste er auch, dass sich Pucci unmittelbar danach absetzen wollte.»
Tron war aufgefallen, dass alles in der geräumigen Kommandantenkajüte der Novara an seinem Platz befestigt war. Der flache Tisch aus rötlichem Mahagoniholz und die gepolsterten Sessel, auf denen sie Platz genommen hatten, waren auf dem Boden der Kabine verschraubt. Die umfangreiche geographische Bibliothek des
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