Venezianische Versuchung
plötzlich mürrisch. Tatsächlich hatte er überhaupt nicht mehr an Dianas Eheschließung gedacht. Mit einem Mal kam er sich ziemlich dumm vor. Unzufrieden mit sich selbst stieß er hervor: „Von mir aus kann das ganze verflixte Alphabet eingraviert werden! Es ist mir egal.“
„Das stimmt nicht. Und es wird auch Diana nicht egal sein. Vor der Hochzeit hat sie sich große Sorgen gemacht. Die Ärmste fürchtete, Sie könnten ihr zürnen und ihren Gatten nicht als Schwiegersohn akzeptieren. Zum Schluss jedoch hat sie darauf vertraut, dass Sie sie genug lieben, um ihr zu verzeihen und Lord Randolph wie einen Sohn aufzunehmen.“
„Ich habe den Mann noch nie gesehen“, brummte Richard. „Wie könnte ich ihn lieben wie einen Sohn, diesen Schurken, der meine Tochter verführt hat?“
Beruhigend strich Jane mit ihrer Hand über seine. „Sie werden ihn bald kennenlernen. Und dann werden Sie feststellen, dass Sie ihn mögen.“
„Sie sind sich stets so sicher, recht zu haben“, sagte er noch immer verärgert. Aber den größten Zorn hatte er bereits überwunden. Daher konnte er sich nun eingestehen, dass Jane über seine Töchter vermutlich mehr wusste als er selbst. Wenn sie Lord Randolph für einen passenden Gatten für Diana hielt, dann war er es vermutlich wirklich.
„Ich bin auch oft genug unsicher“, sagte sie leise. „Aber heißt es nicht, dass junge Damen sich fast immer in Männer verlieben, die ihrem Vater ähneln? Nun, ich zweifle nicht daran, dass sowohl Mary als auch Diana einen Gatten gewählt haben, der viele gute Eigenschaften mit Ihnen gemeinsam hat, Richard.“
Der Ladenbesitzer ließ sich seine Ungeduld nicht anmerken. Aber natürlich brannte er darauf zu erfahren, wie der vornehme Duke aus England sich entschieden hatte. Er rückte die Bürste ein wenig zurecht, sodass das Licht sich in der kleinen silbernen Platte fing.
„Sagen Sie ihm, dass ich alles kaufe“, wiederholte Richard. „Und er soll die drei Buchstaben eingravieren lassen, damit es ein wirklich passendes Geschenk für die junge Braut ist.“
Jane stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange. Es ging so schnell, dass er nicht dazu kam, gegen diese öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung und Dankbarkeit Einspruch zu erheben. Er warf einen Blick auf ihr strahlendes Gesicht und vergaß alle Zurückhaltung. Ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verwenden, wer ihn dabei beobachten konnte, küsste er Jane kurz auf den Mund.
„Richard!“ Sie klang erschrocken, und ihre Wangen färbten sich tiefrot. Doch es war eher Freude als Scham, die ihr Herz schneller schlagen ließ. „Sie stecken voller Überraschungen!“
Nie hatte sie in seinen Augen schöner ausgesehen! „Genau wie Sie“, meinte er lächelnd. „Und nun wollen wir etwas für meine Mary kaufen. Außerdem eine Kleinigkeit für diese jungen Männer, die mir meine Töchter geraubt haben. Gewiss können Sie mir einen Rat geben, was da geeignet wäre.“
14. KAPITEL
D en restlichen Nachmittag verbrachten sie damit, noch etwa ein halbes Dutzend Geschäfte zu besuchen. Richard amüsierte sich köstlich. Dass es ihm so viel Spaß machte, lag zweifellos an Jane. An ihrem Humor, ihrem guten Geschmack und ihrer ruhigen überlegten Art, wenn es darum ging, ihn bei der Auswahl der Geschenke für seine Töchter und seiner Schwiegersöhne zu beraten.
Für Mary, die sich – genau wie Jane – für alles interessierte, was mit Geschichte und Kultur zu tun hatte, wählten sie ein goldenes Kettchen mit einem Anhänger, der wie eine klassische Kamee gearbeitet war, und dazu passende Ohrringe. Für ihren Gatten, der ein angesehener Kunstsammler war, entdeckten sie eine kleine Bronzestatue, die ein sich aufbäumendes Pferd darstellte. Und für Dianas Gemahl schließlich, der ein begeisterter Jäger war, kauften sie ein Jagdgewehr, dessen Schaft mit wunderschönen Einlegearbeiten verziert war.
Als endlich alles erledigt war, ging der kurze Wintertag bereits zur Neige. Die Dämmerung senkte sich über die Stadt, und die Geschäftsleute hängten brennende Laternen draußen neben den Ladentüren auf. Da auch in den Verkaufsräumen jetzt Lampen brannten, leuchteten die Schaufenster einladend. Anders als in England, wo die meisten Läden schlossen, sobald es dunkel wurde, ging der Verkauf in Venedig weiter. Die engen Straßen waren noch immer voller Menschen, die sich lebhaft unterhielten, lachten und sich gegenseitig auf die Auslagen in den
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