Venezianische Versuchung
wenigstens still und aufrecht gesessen hätte. Aber sie schwankte wie ein Rohr im Wind, und Jane konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie unter der Last ihres geheimen Wissens fast zusammenbrach.
„Es wäre doch ein Spaß“, meinte Richard, der Janes Zurückhaltung falsch deutete. „Natürlich wird die Zigeunerin das Blaue vom Himmel herunterschwindeln. Ich wüsste zu gern, ob sie allen das Gleiche erzählt.“
„Wenn Sie nicht daran glauben, dass die Frau übersinnliche Kräfte hat, können Sie Ihr Geld auch gleich in den Kanal werfen, statt es ihr zu geben.“
„Ich sage Ihnen die Wahrheit, Signore“, wandte sich die Wahrsagerin jetzt direkt an Richard. Und da sie nicht ahnte, wie wenig Italienisch er verstand, fuhr sie rasch fort: „Werden Sie mit Ihren Plänen Erfolg haben? Werden Sie gesund bleiben? Oder sind Ihre besten Tage womöglich bereits vorbei? Ein gut aussehender kräftiger Mann wie Sie wird das wissen wollen! Insbesondere im Hinblick darauf, ob Sie mit dieser hübschen jungen Dame, ihrer treuen Gattin, noch viele Kinder zeugen werden. Ja, wie viele Söhne werden den Glanz Ihres Hauses vergrößern?“
Jane hielt den Atem an und schaute fragend zu Richard. Noch lächelte er, aber sein Gesichtsausdruck wirkte versteinert. Offenbar hatte er genug verstanden, um seine gute Laune zu verlieren.
Jane konnte das nur allzu leicht nachvollziehen. Schon wieder hatte jemand sie für Richards Ehefrau, für seine Duchess, gehalten. Und nicht nur das. Die alte Zigeunerin hatte ihn auf seine Söhne angesprochen. Söhne, die Anne ihm nicht hatte schenken können. Und die ich nie zur Welt bringen werde, dachte Jane traurig, weil ein Duke und eine Gouvernante keine gemeinsame Zukunft haben können. Es war grausam, ihn in einem solchen Moment daran zu erinnern.
„Sie haben recht“, sagte Jane und griff nach seinem Arm, um Richard weiterzuziehen, „es ist alles erfundener Unsinn. Leere Lügen und ausufernde Fantasien.“
„Unsinn, ja“, wiederholte er. Dann drehte er der Wahrsagerin entschlossen den Rücken zu. „Wir wollen nichts davon hören!“
„Gar nichts“, bestätigte Jane. Gemeinsam gingen sie weiter, bis sie wenig später bei einem Marionettentheater stehen blieben, vor dem eine Menge lachender Kinder versammelt war.
Das einfache Stück hätte vielleicht auch Richard und sie amüsiert, wenn ihre Freude über das geschäftige Treiben der Karnevalszeit nicht bereits zerstört worden wäre. Jane zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie Richard aus seiner schlechten Stimmung reißen konnte. Doch irgendwann wurde ihr klar, dass sie nichts tun konnte. Richard brauchte Zeit, um mit sich selbst und dem Schicksal Frieden zu schließen. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als Geduld aufzubringen. Wenn sie sich nicht aufdrängen wollte, durfte sie ihr Mitgefühl nur sehr zurückhaltend zeigen.
„Wollen wir in die Ca’ Battista zurückkehren?“, fragte sie, während sie den Kopf an seine Schulter lehnte. Dabei hielt sie den Blick auf die Marionetten gerichtet, die gerade einen Kampf ausfochten, den die Kinder mit lautem Geschrei begleiteten. „Ich bin für heute des Karnevalstreibens müde.“
„Ich auch“, gab Richard zu. „Aber dort drüben gibt es – wenn ich mich recht entsinne – einen Gasthof, in dem dieser gute Malvasier-Wein angeboten wird. Wir wollen ein Glas trinken, ehe wir heimgehen.“
Jane folgte ihm bereitwillig. Gleich an einem seiner ersten Tage in Venedig hatte Richard jenen besonderen Wein entdeckt. Im Gegensatz zu den Rebsorten, die er im Allgemeinen bevorzugte, war der Malvasier süß und schwer. Doch gerade das schien ihm zu gefallen. Wo immer er an einem Geschäft oder einer Schenke vorbeikam, in der Malvasier angeboten wurde, ließ er sich ein Glas servieren. So war er inzwischen ein richtiger Fachmann für die unterschiedlichen Arten des aus dieser Rebsorte hergestellten Weins geworden. „Am besten“, pflegte er zu sagen, „ist der mit Mandeln und Kräutern aromatisierte Wein, der hier garba genannt wird.“
Schon ein kleines Glas davon würde Richards Laune bessern. Das wusste Jane. Deshalb war sie auch gern bereit, ihm dabei Gesellschaft zu leisten, selbst wenn die meisten Gaststätten, in denen Malvasier ausgeschenkt wurde, nicht gerade nach ihrem Geschmack waren. Meist handelte es sich um einen einzelnen Raum mit ehemals weiß gestrichenen Wänden und grob gezimmerten Tischen und Bänken, auf denen sich Seeleute und Gondolieri drängten. Frauen
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