Venezianische Versuchung
verletzt war. „O Gott, Richard“, rief sie erschrocken aus. „Du blutest! Wir brauchen einen Arzt!“
„Nein, nein, Liebes“, wehrte er ab. „Es ist nichts.“ Viel mehr Sorgen machte er sich darum, dass man ihn für den möglichen Tod des Mannes zur Rechenschaft ziehen könnte. Er hatte nicht beabsichtigt, ihn zu töten. Aber er hatte mit Kraft zugestoßen und genau gespürt, wie tief die Klinge in die Brust des Schurken eingedrungen war. Entschlossen schüttelte er den Gedanken daran ab und wickelte sich einen Zipfel seines dunklen Umhangs um die verletzte Hand. Niemand sollte die Wunde sehen.
„Warte!“ Jane, deren Gesicht noch immer tränenüberströmt war, blieb stehen, holte ein Taschentuch hervor, nahm Richards verletzte Hand und bandagierte sie, ohne sich von dem Blut abschrecken zu lassen.
„Es war mein eigener Fehler“, gestand er. „Ich habe mich ablenken lassen, und schon hat dieser Kerl mich getroffen.“
„Unsinn“, widersprach Jane. „Ich habe doch beobachten können, wie konzentriert du gekämpft hast. Was hätte dich ablenken sollen?“
„Du“, sagte er leise. „Ich musste plötzlich an dich denken.“
20. KAPITEL
I m Allgemeinen gefiel es Jane, wenn sie sich einer Herausforderung stellen musste. Je mehr es zu erledigen gab, desto überlegter und schneller arbeitete sie.
So war es auch, als sie sich, so gut es eben in der Dunkelheit ging, um Richards Wunde kümmerte. Sobald ihr klar geworden war, dass er ihre Hilfe brauchte, vergaß sie Signor di Rossi und alles, was sie an diesem Abend beschäftigt hatte, und besann sich ganz auf die Aufgabe, die es zu erfüllen galt. Innerhalb von wenigen Augenblicken verwandelte sie sich von der anlehnungsbedürftigen Geliebten in die tüchtige Gouvernante.
Richard behauptete natürlich, die Verletzung sei eine Kleinigkeit, die keinerlei Aufmerksamkeit erforderte. Doch Jane wusste es besser. Sie verstand, dass er es schon aus Stolz niemals zugegeben hätte, dass er litt und sich Zuwendung wünschte. Nachdem sie die Blutung einigermaßen gestillt hatte, fand sie rasch einen Gondoliere, der sie zur Ca’ Battista brachte. Dort angekommen, ließ sie nach einem Wundarzt schicken, beauftragte einen der Diener, das Feuer im Zimmer des Dukes neu zu entfachen, und bat die Köchin, noch eine späte, stärkende Mahlzeit zuzubereiten. Eines der Küchenmädchen erhielt den Befehl, heißes Wasser nach oben zu bringen.
Wie nicht anders zu erwarten, bestand Astons Kammerdiener darauf, sich persönlich um seinen Herrn zu kümmern. Jane war klar, dass sie sich damit einverstanden erklären musste. Allerdings ließ sie sich nicht daran hindern, den beiden zu folgen. Zuerst jedoch vertauschte sie in ihrem eigenen Zimmer in aller Eile ihr Kostüm mit dem Morgenrock, den zu tragen sie sich auch in Anwesenheit anderer nicht schämte. Dann lief sie nach oben, wo sie mit kritischem Blick beobachtete, wie Wilson sich um seinen Herrn bemühte. Er hatte den Duke bereits von dem blutverschmierten Umhang, dem nicht mehr weißen Hemd, der juwelenbesetzten Arlecchino-Hose und der Unterwäsche befreit und in ein leinenes Nachthemd gesteckt und half ihm jetzt in den eleganten Morgenmantel.
Mit einem tiefen Seufzen nahm Richard an seinem Schreibtisch Platz und ließ sich von Wilson ein Glas Brandy servieren.
„Ich möchte mir Ihre Hand gern noch einmal ansehen“, erklärte Jane, da der Wundarzt noch nicht eingetroffen war.
„Nein, nein“, wehrte Richard ab. „Der Arzt wird gleich da sein.“
Aber sie hatte schon begonnen, vorsichtig den Knoten zu lösen, damit sie das Taschentuch entfernen konnte. „Die Wunde muss gesäubert werden“, sagte sie. Ihr Ton klang ruhig, obwohl sie inzwischen in großer Sorge um Richard war, denn er sah erschreckend blass und erschöpft aus.
Vergeblich machte er noch einen schwachen Versuch, sie dazu zu bewegen, auf den Arzt zu warten. Sie hatte bereits warmes Wasser über seine blutverkrustete Hand gegossen. Nachdem die Wunde gesäubert war, zeigte sich, dass sie tatsächlich noch gefährlicher war, als Jane befürchtet hatte. Der Schnitt war tief, die Haut an den Rändern gerötet, und zudem gab es bereits eine unübersehbare Schwellung. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Richard starke Schmerzen auszuhalten hatte.
Dennoch fiel ihm auf, wie ängstlich Jane plötzlich dreinschaute, woraufhin er sich tatsächlich bemühte, sie zu trösten. „Sieh mich nicht so traurig an, mein Schatz“, meinte er. „Man könnte sonst
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