Veni, Vidi, Gucci
schon einmal in so einem Zustand«, sagt sie stattdessen. »Weißt du noch, nach Thomas’ Geburt ...?«
Wie könnte ich das je vergessen?
»Deine postnatale Depression –«
»Falls das überhaupt eine war«, bemerke ich, da mein Zynismus instinktiv wach wird.
»Deine postnatale Depression hat Monate gedauert. Wir saßen damals oft zusammen, und dabei tranken wir immer ein, zwei Gläser Wein. Hättest du die Veranlagung zur Alkoholikerin, wärst du es bereits damals geworden. Dann wäre deine Trinkerei so schlimm geworden, dass wir dich jetzt für eine Lebertransplantation anmelden müssten.«
Sureya deutet mein Schweigen richtigerweise als Skepsis und redet weiter, im Bestreben, mich zu überzeugen.
»Du hast eine Depression , meine Liebe. Du bist gestresst und hast ein ernsthaftes Defizit an Selbstachtung, aber du bist keine Alkoholikerin. Bis dahin ist es noch ein weiter Schritt. Oh Mann, je mehr ich darüber nachdenke, umso wütender macht mich das. Natasha kennt dich gerade mal zehn Minuten. Wie kommt sie dazu, so eine Aussage zu treffen? Sie soll sich um ihr eigenes Leben kümmern, statt das anderer zu zerpflücken. Man müsste mit ihr Mitleid haben, wenn sie nicht so eine Schlange wäre.«
Sureyas Worte machen mir meine Dummheit wieder schmerzhaft deutlich bewusst. Was habe ich mir nur dabei gedacht, mein Herz einer Fremden auszuschütten, statt einer wahren Freundin wie Sureya?
»Es tut mir leid, Sureya«, sage ich.
»Was denn?«
»Ich hätte schon früher mit dir reden sollen.«
»Ja, allerdings. Aber wir reden ja jetzt. Sag mal, du warst doch ehrlich zu mir, oder? Was das Trinken betrifft, meine ich.«
»Ich schwöre.«
»Gut. Aber ich werde in Zukunft ein Auge auf dich haben. Beim ersten Anzeichen von Stress suchen wir Dallas auf, meinen guten, alten Therapeuten.«
Ich verschlucke mich beinahe. »Ich werde sicher zu keinem Therapeuten gehen, der Dallas heißt!«
»Na schön, dann finden wir eben einen John für dich«, erwidert Sureya lachend und umarmt mich fest. »Du weißt, ich bin immer für dich da, Fran, ja?«
Ja, das weiß ich.
»Ich werde ab sofort meine gesamte Energie auf dich konzentrieren. Das ist ohnehin besser, als mir wegen Michael Gedanken zu machen.«
»Was meinst du damit? Ich dachte, ihr beide seid ein glückliches Paar?«
»Das sind wir auch ... Aber man weiß ja nie, was Männern so alles einfällt, nicht wahr? ... Michael ist in New York. Er hat den ersten Flieger heute Morgen genommen. Woher will ich wissen, dass er sich nicht ein junges Ding aus Manhattan anlacht?«
»Das ist völlig abwegig. Nicht Michael.«
»Wie kannst du dir so sicher sein? Es ist noch nicht lange her, da habe ich genau dasselbe von Richard behauptet. Sag also niemals nie.«
»Hör zu, Michael würde so etwas niemals tun. Er ist verrückt nach dir«, sage ich mit überzeugter Stimme.
Ich bitte Sie, schließlich reden wir hier von Sureya. Welcher Mann wäre nicht verrückt nach ihr?
Es ist Mittag, und Sureya hat für uns Sandwiches gemacht. Ich trinke ein Glas Weißwein dazu – allerdings nur ein kleines. Sureya trinkt Kräutertee. Was sonst.
Während des Essens überkommt mich eine große Rührung. Meine zwei besten Freundinnen sind schwanger – und beide haben ihre eigenen Gründe, deswegen gestresst zu sein –, und dennoch kümmern sie sich um mich. Ich beschließe, mich von nun an zusammenzureißen. Ich werde für die beiden da sein. Das sage ich auch Sureya.
»Das ist mein Ernst«, füge ich hinzu. »Wenn du Hilfe brauchst, ich bin für dich da. Das verspreche ich dir.«
»Das weiß ich, Fran.« Sureya lächelt, und obwohl sie erschöpft wirkt, sehe ich in ihren Augen Liebe.
Was mich natürlich erneut zum Weinen bringt.
»Lass es einfach heraus«, tröstet sie mich. »Ich habe dir gesagt, dass Reden gut tut. Du solltest das öfter beherzigen.«
Hängt ganz davon ab, mit wem man redet. Am Beispiel von Natasha sieht man ja, was es mir gebracht hat.
Im Gegensatz zu Natasha ist Sureya eine Freundin, die diese Bezeichnung verdient. Es ist eine Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt, ohne dass man merkt, wie eng man zusammenwächst. Nicht eine Freundschaft, die über wenige Tage hinweg mit gefüllten Oliven und Pimm’s zwangsernährt wird.
Dieses Sich-alles-von-der-Seele-Reden hat bewirkt, dass ich mich wieder gelöster, beinahe ausgelassen fühle, ein Zustand, der mir gefällt. Besser, als Frust zu schieben, wie das in letzter Zeit zu oft bei mir
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