Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
›Erkläre das.‹
›Kausalität, Chest. Determinismus. Was weißt du darüber?‹
›Gar nichts, du Freak.‹
Hora lachte. ›Das dachte ich mir. Wir haben nur ein einziges Problem: Ich kann es dir nicht erklären.‹
›Warum nicht?‹
›Weil du es erfahren musst. Ich kann dir nur Aufgaben geben, die dich letztlich zur Erkenntnis führen, aber erklären … Unmöglich. Eine Erklärung würde lediglich deinen Geist ausrichten, sodass du die Kausalkette nach meinen Worten bauen würdest, und das ist nicht hilfreich. Ich will sehen, wie deine Welt aufgebaut ist. Meine kenne ich zur Genüge.‹
›Ich verstehe kein Wort.‹
Wieder das Lachen. ›Meine Erklärung würde dir ein vorgefertigtes Bild liefern, das sich schlussendlich realisieren würde. Das wollen wir nicht, Chest.‹
›Ach nein?‹
›Das ist nicht der Plan.‹
›Warum ich, Hora?‹
›Weil du das Talent hast, den Mumm und die Wahrnehmung.‹
›Du hast das nicht?‹
›Meine Stärken liegen auf anderen Gebieten. Aber wir beide zusammen, Chest – wir beide werden mit vereinten Kräften ins Himmelreich zurückkehren.‹
›Du redest schon wieder Scheiße.‹
›Wir werden sehen.‹
5
Der Intercity wühlte sich wie ein gigantisches Ungetüm quer durch Deutschland. Die Landschaft streckte sich zu einem gräulichen Braun aus, das in einer einzigen, nicht endenden Schliere am Fenster vorbeizog. Sobald man sich auf eine Einzelheit in der Ferne konzentrierte und diese aus der grenzenlose Tünche extrahierte, war sie keine Sekunde darauf schon wieder aus dem Blickfeld verschwunden. Dem Extrahierten nachzusehen war genauso müßig wie es überhaupt erst zu fixieren.
Seufzend wandte sich Tim vom Fenster ab und warf unweigerlich einen Blick auf die digitale Uhr über der Schiebetür des Abteils. Noch über vier Stunden bis Kiel. Er rutschte im Sitz ein wenig nach unten, streckte die Beine aus und lehnte den Kopf nach hinten. Zu allem Überfluss waren sie fernab der anderen Reisenden und teilten sich nur zu zweit ein Abteil in der ersten Klasse. So konnte Tim nicht einmal andere beobachten oder gar ein nettes Gespräch beginnen.
Er seufzte erneut.
Loki, der Tim schräg gegenübersaß, spähte über den Tablet-PC zu seinem Cousin hin, senkte den Blick aber sofort wieder. Die graublauen Augen huschten über den Bildschirm, der rechte Zeigefinger bediente den Touchscreen beinahe genauso schnell.
»Vipassana«, murmelte er.
»Was?«
»Vipassana. Das ist mein Rat an dich.«
»Und was soll das sein? Hoffentlich was zu essen.«
Erneut sahen die graublauen Augen zu Tim hin, ehe sie sich wieder senkten. »Du bist im Besitz eines einwandfrei funktionierenden Smartphones. Wähle dich in das Netz der Deutschen Bahn ein – es arbeitet zu meiner Freude heute untadelig – und finde es heraus. Allein diese Aufgabe dürfte dich zwei Minuten ... pardon, du bist etwas langsamer als ich, also fünf bis zehn Minuten kosten.«
Tim runzelte die Stirn. »Warum sollte ich lange danach suchen, wenn du mir sagen kannst, was es ist?«
»Nicht was «, erwiderte Loki nachdenklich, während er weiterhin den Finger über den Touchscreen gleiten ließ. »Es ist kein Etwas . Vipassana ist vielmehr ein Zustand respektive das Hilfsmittel, um in jenen Zustand zu gelangen.« Jetzt sah er auf und ließ das Tablet leicht mit der Hand sinken. »Johnny, warum recherchierst du nicht einfach danach? Ich versuche, zu arbeiten.«
»Du hast doch mit dem Blödsinn angefangen!«
»In der Tat. Du klagst herum wie ein altes Weib mit Blähungen, wenn du diesen rüden, aber passenden Vergleich erlaubst. Wir haben noch über vier Stunden Zugfahrt vor uns, und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du damit aufhören könntest.«
Tim verschränkte die Arme und rutschte noch ein Stück weiter im Sitz nach unten. Seine langen Beine stießen gegen die freie Sitzfläche gegenüber. »Es ist einfach scheißlangweilig. Können wir nicht wie zivilisierte, durchschnittliche Menschen in einem normalen Abteil reisen?«
Blinzelnd hob Loki den Blick und sah sich um. »Das ist ein vergleichsweise sehr normales Abteil, will ich meinen.«
»Ohne andere Leute.«
»Das war mein Begehr, als ich reserviert habe.«
Einen Moment folgte Schweigen. Während sich Loki wieder das Tablet vor die Augen hielt, sah Tim ihn weiterhin an. Das Sakko sowie die Jacke hingen neben Loki am Haken der Gepäckabladefläche, darunter stand sein riesiger Koffer. Wie immer sah sein Cousin absolut ordentlich aus,
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