Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
von den blitzenden Schuhen bis hinauf zu den Haarspitzen. Das Gesicht war auch jetzt ausdruckslos, obwohl Tim ganz genau wusste, dass Loki sehr konzentriert arbeitete. Woran auch immer.
»Woran arbeitest du?«, fragte er.
Dieses Mal ließ Loki das Tablet sehr langsam sinken. Die graublauen Augen musterten Tim mehrere Sekunden, ohne dass man auch nur irgendeine Gemütsregung erkennen konnte. Wenn er wütend war, ließ er sich das nicht anmerken. Auch seine Stimme klang ruhig und gelassen.
»Vipassana ist eine buddhistische Schulungsmethode des Geistes. Sie umfasst die drei Daseinsmerkmale, die auf Buddhas Lehren zurückgeführt werden, und die da lauten: Anicca , Dukkha und Anatta . Auf Deutsch: Unbeständigkeit, Leid und Nicht-Selbst. Sie bilden die Basis der buddhistischen Meditation, wenn man so möchte. Ich lege dir erneut ans Herz, dich darüber zu informieren. Es ist äußerst wissenswert und, wie ich hoffe, kurzweilig. Selbst für einen bescheidenen Geist wie den deinen.«
»Was soll das denn jetzt heißen? Dass ich beschränkt bin?«
Das Tablet sank bis auf den Schoß hinunter. »Bist du mir feindselig gestimmt, mein Lieber?«
Tim verdrehte die Augen. » Du hast damit angefangen!«
Erneut verstrichen ein paar Sekunden, ehe Loki sagte: »Deine Furcht vor fremden Städten ist unbegründet. Du trägst eine Faustfeuerwaffe an der Hüfte, überdies ist Kiel Teil Deutschlands und unterliegt damit den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie München. Sei unbesorgt.«
Entsetzt spürte Tim, dass ihm das Blut in den Kopf schoss. Mit Sicherheit hatte er jetzt eine knallrote Birne auf – und er konnte nichts dagegen machen. Er öffnete den Mund, wollte etwas auf diese Frechheit erwidern, aber ihm fiel nichts ein. Erbost wandte er den Blick ab, verschränkte die Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster hinaus.
Angst vor fremden Städten, so ein Schwachsinn!
Mehrmals seufzte er, laut und demonstrativ.
Nach ein paar Minuten sagte Loki schließlich: »Da du dich nicht dazu durchringen kannst, meine Empfehlung anzunehmen, möchte ich deinem Geist eine andere Beschäftigung geben. Darf ich dich bezüglich des Falles auf den neuesten Stand bringen?«
Ohne Loki anzusehen, zuckte Tim die Schultern.
»Die Zahl der Vermissten ist gestern in den Abendstunden auf acht angestiegen. Wir haben es mit gänzlich unterschiedlichen Menschen aller Altersgruppen zu tun, wobei mir vor allem die gestrige Vermisstenanzeige ins Auge sticht. Bisher handelte es sich um Menschen im Erwachsenenalter, die jüngste davon ist Suna Mahlstedt, die als erste verschwand. Ihre Mutter meldete sie vor fünf Tagen als vermisst, nachdem die Tochter sich nicht wie üblich telefonisch gemeldet hatte. Suna Mahlstedt studierte Betriebswirtschaftslehre im dritten Semester und jobbte nebenher in einer kleinen Bar. Sie wurde zum letzten Mal gesehen, als sie die Uni verlassen hat. Abends erschien sie nicht in der Arbeit. Anderweitig trat sie ebenfalls nicht mehr in Erscheinung, auch nicht virtuell.«
Loki hielt das Tablet in die Höhe, auf dem das Bild einer jungen Frau zu sehen war. Das Mädchen – allem Anschein nach kaum älter als zwanzig, einundzwanzig – lächelte fröhlich und selbstbewusst in die Kamera. Im Hintergrund konnte man den Eifelturm erkennen.
»Hübsch«, sagte Tim.
Loki drehte den Tablet-PC um und schlug die Beine übereinander. »Mondän, ganz recht. Untadelig erscheint auch ihr Lebenslauf, den sie bei Xing eingestellt hat, wobei gewiss fraglich bleibt, inwiefern er idealisiert wurde. Wir werden sehen. Die zweite Vermisstenanzeige ging zwei Tage später ein. Eine ängstliche Frau gab zu Protokoll, ihr Freund Alexander Dünn sei nach der Arbeit nicht wie üblich heimgekehrt. Dünn ist neununddreißig Jahre alt, Ergotherapeut und aufgrund einer jugendlichen Auseinandersetzung wegen Körperverletzung vorbestraft. Er wurde zuletzt von einem Arbeitskollegen gesehen, als er in sein Auto stieg.«
Erneut hielt er das Tablet hoch. Alexander Dünn war ein unscheinbarer Mann mit freundlichen Augen. Es handelte sich anscheinend um ein Passfoto, denn er saß außerordentlich gerade und hielt den Kopf leicht zur Seite gedreht.
Tim nickte nur.
»Einen Tag später verschwand Susanne Eissing, sechsundzwanzig, Einzelhandelskauffrau. Im Gegensatz zu den vorigen Vermissten verlor sich ihre Spur nicht in den Abend-, sondern in den Morgenstunden. Sie führte den Hund aus und kehrte danach nicht heim, um sich wie an anderen Tagen für die Arbeit frisch zu
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