Venus 01 - Piraten der Venus
Imperium, das große Kontinente, Tausende von Inseln und weite Meeresgebiete umfaßte und sich von Strabol bis Karbol erstreckte. Es war ein Land mit mächtigen Städten, in denen der Handel blühte wie nie zuvor. Die Bevölkerung, die damals noch Millionen zählte, lebte in Frieden und Wohlstand. Es gab Millionen von Händlern und Millionen von Angestellten und Millionen von Sklaven, und es gab eine kleinere Schicht von Geistesarbeitern. Diese Schicht um faßte alle, die sich mit der wissenschaftlichen Forschung, der Medizin, der Rechtskunde, der Literatur und den schönen Künsten beschäftigten. Die militärischen Führer stammten aus allen Klas sen. Über allem stand der Jong, dessen Amt vererbbar ist.
Die Trennungslinien zwischen den Klassen waren zwar vorhan den, aber nicht unüberschreitbar; ein Sklave konnte zu einem freien Mann werden, und ein Freier konnte sich in jede Stellung hocharbeiten, die ihm seine Fähigkeiten erschlossen – nur Jong konnte er nicht werden. Auf der gesellschaftlichen Ebene bestand kein Kontakt zwischen den vier Klassen, was weniger auf ein Ge fühl der Überlegenheit oder Unterlegenheit, als darauf zurückzu führen war, daß die Angehörigen der einzelnen Schichten nur we nige gemeinsame Interessen hatten. Wenn sich das Mitglied einer niedrigen Klasse in eine sozial höhere Schicht hinaufgearbeitet hatte, wurde es dort gern willkommen geheißen, ohne daß ihm seine Vergangenheit nachhing.
Natürlich gab es in jeder Gesellschaft Unzufriedene – insbesondere die Faulen und Unfähigen, die vielfach schon zu den Ver brechern zu rechnen waren. Sie beneideten die anderen, die für sich bereits etwas erreicht hatten. Immer wieder kam es zu Un ruhen, von denen die Allgemeinheit keine große Notiz nahm. Doch dann bekam die Bewegung einen mächtigen Führer, einen Arbeiter namens Thor.
Dieser Mann gründete den geheimen Orden der Thoristen und verkündete eine Lehre des Klassenhasses, die er den Thorismus nannte. Mit Hilfe übertriebener Propaganda gelang es ihm, in kur zer Zeit eine große Anhängerschaft zu gewinnen, und da sich seine Vorstöße auf eine einzige Klasse konzentrierten, konnte er sich auf das Millionenheer der drei anderen Klassen stützen.
Das eigentliche Ziel der thoristischen Führer war die Erlangung persönlicher Macht, und ihr Erfolg ließ sich nur auf die Tatsache zurückführen, daß sie ihre Bemühungen auf die unwissenden Mas sen konzentrierten und diese kunstvoll in die Irre führten. Es kam schließlich zu einer blutigen Revolution, die das Ende der Zivilisa tion und des Fortschritts einer ganzen Welt einleitete.
Ziel des Aufstandes war die völlige Vernichtung der intellek tuellen Schicht. Der Jong sollte mit seiner Familie umgebracht wer den, ebenso wie alle, die sich der neuen Bewegung in den Weg stellten. Und dann, so war den Menschen versprochen, waren alle frei.
Nachdem man uns fast ausgerottet hatte, entdeckte man, was die Agitatoren schon längst wußten – daß es ohne Führung nicht ging. Natürlich waren die Führer der thoristischen Bewegung nur zu gern bereit, an die Stelle der alten Herrscher zu treten, doch das Volk mußte bald erkennen, daß es sich gegen die wohltätige Herr schaft einer erfahrenen und zivilisierten Klasse die Tyrannei un fähiger und gieriger Theoretiker eingehandelt hatte.
Jetzt ist unsere ehemalige Heimat ein Sklavenland. Eine Armee von Spionen arbeitet für die Regierung, und eine Armee von Krie gern sorgt dafür, daß sich die Untergebenen nicht gegen ihre Herren erheben. Die Lage ist hoffnungslos.
Wir waren dem Unglück zusammen mit unserem Jong entkom men und richteten hier auf dieser unbewohnten Insel unsere Baumstädte ein. Wir haben unsere Kultur mitgebracht; mehr konnten wir nicht retten. Aber wir sind zufrieden. Auch wenn es möglich wäre, würden wir nicht zum alten System zurückkehren. Wir haben gelernt, daß ein gespaltenes Volk nicht glücklich sein kann und daß auch die geringste Klassentrennung zu Neid und Mißgunst führen muß. So etwas kann es bei uns nicht mehr ge ben – wir gehören alle derselben Klasse an. Wir haben keine Die ner und verrichten die anfallenden Arbeiten selbst. Auch die Män ner, die den Jong bedienen, sind keine Dienstboten im üblichen Sinne, sondern betrachten ihren Posten als gesellschaftliche Ehre, die im Wechsel jedem von uns zuteil wird.«
»Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie hier hoch über dem Boden in Bäumen leben«, sagte ich.
»Jahrelang haben die
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