vergessen – ich empfehle Euch: Die Eleganz des Igels .
Und dann hätte ich noch ein paar weitere Empfehlungen. Fangen wir mit Gerda an. Diese Wahrsagerei ist schön und gut und nett. Aber willst Du das wirklich? Anders gefragt – ich frage mich, wieso Du das überhaupt machst.
Meine Überlegungen – es überlegt sich sehr fein an einem windigen Oktobertag an einem menschenleeren Strand, mit der Aussicht auf ein billiges Menü und eine Flasche Bordeaux: Du kannst Menschen sehr gut einschätzen. Erzähl mir nicht, dass Du tatsächlich irgendwelche Schwingungen erhältst oder Erscheinungen hast. Dein Gewerbe basiert auf Menschenkenntnis, Beobachtungen, geschickten Nachfragen und spekulativen Aussagen. Dazu einer großen Portion Phantasie. Und der Begabung, aus Nichts eine Geschichte zu spinnen. Womit Du theoretisch das Handwerkszeug hättest, um Romane zu schreiben. Aber dass Sitzfleisch dazu fehlt Dir. Überleg Dir trotzdem mal, ob Du Deine Glaskugel nicht einmotten und etwas anderes beginnen willst.
Und Du, liebe Sue: Dir würde ich gerne mal den Kopf waschen. Es kann doch nicht sein, dass sich Dein beruflicher Werdegang liest wie der eines Teenagers. Geht’s noch? Wie alt bist Du? Eben. Da dauert es nicht mehr allzu lange, bis Du zu rheumatisch wirst, um Dich in Kofferräumen zu verkriechen – und außerdem solltest auch Du mal an Deine Altersvorsorge denken.
Brauchst gar nicht mit den Augen zu rollen. Ich habe rechtzeitig meine Taler gescheffelt. Und was habe ich nun davon? St. Petersburg. Das nasskalte Schottland (die haben übrigens wirklich nichts drunter, die Schotten … und nein, ich werde Euch nicht erzählen, woher ich das weiß). Das wunderschöne Frankreich und vielleicht demnächst auch …
Ich sag’s jetzt nicht. Ich lass mich treiben, erst einmal. Hab ich noch nie gemacht und genieße es. Ja, auch das ist ein bisschen wie Schule schwänzen. Nur ohne schlechtes Gewissen. Und ohne finanzielle Katastrophen.
Sue, Du hast drei Möglichkeiten. Such Dir einen reichen Mann, lass Dich begatten und zieh drei Kinder groß. Such Dir einen anständigen Job. Überleg Dir, was Du wirklich vom Leben willst.
Nummer eins und zwei wirst Du ausschließen. Also kümmere Dich um Nummer drei. Zeit zum Nachdenken müsstest Du ja beim Polieren der Autos haben.
Mesdames, meine Internetzeit neigt sich dem Ende zu. Ich werde jetzt hinuntergehen und mein Diner einnehmen. Ganz gediegen, am Fensterplatz, mit frischem Baguette, herrlicher Mousse au Chocolat und einem spannenden Buch. Denn die verbliebenen Gäste hier in Deauville sind mir zu alt und zu französisch für Tischgespräche.
Bisous, à bientôt!
Josefa – oder wie der Kellner sagt: Madame Schosäphe.
Von:
[email protected] An:
[email protected] ,
[email protected] Gesendet: Sonntag, 07. Oktober, 15:15 Uhr
Betreff: elegante Igel, Deauville und Pläne
Chère Josefa, chère Sue chaotique,
Madame Schosäphe bewegen sich in Frankreich.
Sitzt Du wirklich an einem windigen Oktobertag am menschenleeren Strand und denkst Dir Weisheiten für uns aus? Ich glaub’s nicht. Wenn Du Die Eleganz des Igels bei Dir hast und liest, wenn Du die Orte Deiner wunderbaren Lieblingsbücher sehen willst, müsstest Du in Paris sein.
Nicht?
Ich habe schnell noch mal Deine Mail durchgelesen. Manchmal bin ich flüchtig. Jetzt verstehe ich. Deauville. Da war ich zuletzt vor über 30 Jahren. Lange her. Wo residierst Du? In der Nähe vom Markt? Oder etwa im Le Normandy Barrière? Doch wohl nicht in der La Breloque, dieser Villa von Eugène Boudin, dem Himmel- und Wolkenmaler?
Du liest also die Die Eleganz des Igels. Die Geschichte dieser Concierge, die sich für Literatur, Philosophie und Kunst so interessiert, hat mich vor einem Jahr sehr berührt.
Warum? Ich muss ein wenig ausholen: Als ich in mein Dorf kam, habe ich ganz bewusst neben der Erinnerung an meine Oma meine Dorfkleidung auf skurril getrimmt. Ich wollte sehen, wie die Leute darauf reagieren. Nun ja. Erst etwas befremdet – schon durch mein altes Moped und die Perücken – aber auch vertrauenerweckend, ich wurde für etwas schräg gehalten, war aber fürs Dorf passend. Und wenn Kunden nach mir fragen, können sie schnell erklären, die Rothaarige in der ollen Kittelschürze.
Ach. Wenn Ihr wüsstet, wie elegant ich früher war. Aber allmählich möchte ich es wieder sein. Und mich mit Leuten, so wie mit Euch, über ganz andere Dinge unterhalten und lachen, auch weinen können.
Das Thema: Medizin ist