Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
nun auch Nick zu betreffen. Nick versuchte, die Frauen aus dem Kopf zu kriegen und Leo dazu.
Er nutzte die ersten weichen Maitage, um Liebespaare an der Alster zu fotografieren. Eine Auftragsarbeit. Freiwillig wäre er nicht darauf gekommen, doch er brauchte Geld. Vielleicht sollte er ein paar Belegfotos an Leo schicken, ein Versuch, ihr Herz zu wärmen. Er hörte nichts von ihr.
Am dritten Tag schlug das Wetter schon wieder um, und er stellte noch Fotos von einem Paar nach, das sich hinter einer nassgeregneten Kaffeehausscheibe küsste. Nick ließ auch einen Schwarzweißfilm mit diesem Motiv durchlaufen, das konnte er einem Kartenverlag anbieten.
Er war zu allerlei Innovationen bereit, um Leo zu erfreuen.
Ihr zu beweisen, dass er nicht der elende Nick war.
Er kriegte Leo nicht aus dem Kopf.
Die anderen Frauen auch nicht.
Freitagabend traf er sich mit Pit auf ein Bier. Sie sprachen über alles, was nicht wichtig zu sein schien. Krochen beide um den heißen Brei herum. Aßen Bratkartoffeln dazu.
Erst, als sie sich vor der Kneipe trennten, sagte Pit etwas, das mit dem Fall zu tun hatte. Ganz nebenbei sagte er es, als begehe er auf diese Weise keine Indiskretion.
Die Frauen hatten einen Traum geteilt. Alle träumten sie davon, ein Glanz zu sein. Sich zu erheben.
Über Schützenfeste und Kneipen und Strumpfläden. Auch die kleine Cellistin hatte als sehr ehrgeizig gegolten.
Nick zuckte die Achseln. Vier junge Frauen.
Klar waren sie ehrgeizig. Versuchte er nicht auch gerade wieder, seinen Ehrgeiz zu wecken?
Vielleicht hat der Täter ihnen etwas versprochen, hatte Pit gesagt. Vielleicht war er auch einfach nur aus einem Busch gesprungen, dachte Nick, als er nach Hause ging.
Hatte ganz ohne Versprechungen gleich gewürgt.
Nein. Das war keine Spur.
Alle Frauen, die er kannte, wollten ein Glanzlicht sein. Tauchte Leo nicht nach Glanz in ihrem Talmi?
Vera. Es wurde Zeit, dass er sie singen hörte in ihrer Bar. Noch scheute er sich vor der Begegnung mit Jef.
Er kam nach Hause und holte den Fernet Branca aus dem Küchenschrank. Viel lag ihm im Magen.
Nicht nur die Toten. Auch das eigene Leben.
Nick ging zum Telefon und wählte Veras Nummer. Ließ lange durchläuten. Es gehörte zu Veras Unverschämtheiten, keinen Anrufbeantworter zu haben.
Vermutlich sang sie gerade ihren Jef an. Hielt sich an der eigenen herrlichen Taille fest und sang Solitary Moon.
Nick goss sich noch einen Fernet Branca ein. Wie kam er ausgerechnet auf Solitary Moon? Die Mond.
»When the night is wrapped around us«, sang Nick. Klang ganz gut. »when the only light that's found us is the solitary moon.« Die gekachelte Küche hatte keine schlechte Akustik. Vera sollte ihn hören. Vielleicht wäre er doch ein Partner für sie. Brother in song. Lover in song.
Er musste Vera die Pistole auf die Brust setzen.
Nick schüttelte sich. Eine dämliche Formulierung. Selbst, wenn man sie nicht laut aussprach. Doch er wollte endlich Klarheit über Leo haben. Konnte es sein, dass die beste Freundin tatsächlich nicht wusste, was los war?
»Nein«, sagte Nick. Er versuchte es noch einmal bei Vera und stellte sich vor, wie das Klingeln des Telefons durch acht Zimmer, zwei Balkone und einen Wintergarten zog.
Keiner nahm ab. Warum lebte Anni nicht dort? Sie war die einzige verlässliche Frau, die er kannte.
Nick wählte Leos Nummer und verweigerte sich ihrem Anrufbeantworter. Leo konnte seine Nachrichten schon zu einem Hörspiel zusammenschneiden.
Er griff noch einmal nach dem Hörer. Endlich Erfolg haben.
Nick erreichte die Taxizentrale und bestellte einen Wagen.
Er guckte nur einmal kurz an sich hinunter, als er einstieg, um zur Bongo-Bar zu fahren. Vielleicht ein bisschen leger.
Vera würde darüber hinwegsehen.
Sie war in jeder Hinsicht eine großzügige Frau.
Ein einziges Lachssandwich mit Kresse lag noch auf dem Teller der Etagere, der für Lachssandwiches vorgesehen war. Vera ignorierte die anderen Leckereien des High Tea und griff nach Lachs und Kresse. Schon sechs Tassen Earl Grey getrunken. Gleich würde sie wieder aufs Klo müssen, und Leo war immer noch nicht da.
Das Kaminfeuer lohte. Der Klavierspieler spielte.
Vor den großen Scheiben des Vierjahreszeiten-Hotels taten sich die Binnenalster und ein trüber Nachmittag auf. Die verregneten Tage nahmen überhand in diesem Mai.
The Girl from Ipanema spielte der Klavierspieler.
Vielleicht sollte sie wenigstens nach Nizza fahren.
Der Tisch ihr gegenüber, der für zwei gedeckt
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