Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
war, blieb unberührt, obwohl die Zeit, zu der Vera ihn auf Leos Namen reserviert hatte, seit einer halben Stunde überschritten war.
Sie hatte sich das nett vorgestellt, einen High Tea nehmen und dabei Leos kultivierten Lover im Visier haben.
Heimlich, still und leise. Vera inkognito.
Leo hatte eingewilligt und nur Angst gehabt, aus der Rolle zu fallen und nervös zu kichern, während sie Törtchen aß und Vera gegenüber wusste, die mit Argusaugen guckte.
Doch Leo war nicht da. Weder mit Lover noch ohne.
Vera hob die Hand, um einen Laphroaig zu bestellen.
Hatte Leo jemals den Namen dieses Herrn genannt?
Vielleicht gibt es ihn gar nicht, dachte Vera einen Augenblick lang. Doch sie verwarf den Gedanken gleich. Leo war nicht der Typ, der sich seine Liebhaber ausdachte.
Der Laphroaig kam. Vera blickte auf die Herrenuhr von Ebel, die einmal Gustav gehört hatte. Vor vierzig Minuten hätte Leo erscheinen müssen. Vera ließ die Rechnung kommen und legte die Scheine in die Damastserviette.
Sie war schon auf dem Weg zur Garderobe und dem Ladys Room, den sie schon vor Ewigkeiten hätte aufsuchen sollen, als sich ein Junge in Livree und mit Tablett näherte. Vera nahm das Kuvert, das darauf lag, und öffnete es.
Warum hast du auch kein Handy. Ruf mich an. Leo.
Vera schnaubte und ging erst mal aufs Klo.
Ein paar Bitte und Danke und Entschuldige hatte sie schon erwartet. Leo vergaß ihre Erziehung, in die ihre Eltern Tausende gesteckt hatten. Dieser Knabe schien keinen guten Einfluss zu haben.
Vera ließ sich ihren Schirm von der Garderobenfrau geben und die Alditüte, in der das Inhaliergerät war, das ihr Anni aufgedrängt hatte. Für Jef, der seit zwei Tagen mit einer Bronchitis im Bett lag, das auch nur ein aufgeklapptes Sofa war. Wurde Zeit, ihn in die Wohlhabenheit ihres Heimes zu holen. Jefs Wohnung wirkte wie ein vorübergehender Zustand.
Der Doorman strahlte, als Vera an ihm vorbeikam. Es gefiel ihm, dass elegante Damen aus dem Vierjahreszeiten traten und eine Alditüte schwenkten. Keine Konventionen. Keine Klassen. Danach sehnte sich ein Mensch, wenn er tagein, tagaus vor der Tür eines teuren Hotels stand.
»Das sind die Eisheiligen«, sagte Anni, »deshalb soll man vor dem vierzehnten auch gar keine Geranien pflanzen.«
Sie sah den verfrorenen Kerl an, der da in ihrer Küche stand.
Jef lächelte, als sie von Geranien sprach.
Anni pflanzte selten Geranien. Auf den vorderen Balkons taten sich Bornholmer Margeriten leichter. War doch oft windig da, und die Bornholmer konnten was aushalten.
»Ich habe Ihnen das Bett im Gästezimmer gemacht. Da legen Sie sich nach dem Essen mal gleich hinein.«
Vera atmete den Duft der Hühnersuppe ein, die auf dem Herd köchelte, und sah, wie Anni den verlegenen Jef in den Korbsessel lockte, so dass er den Vorsitz am Küchentisch hatte, auf dem heute eine blaukarierte Decke lag. Vera kam sich vor, als wirke sie in einem Werbespot für Margarine mit. Vielleicht ein bisschen viel Idylle, die Anni da inszenierte.
»Seit Nelly weg ist, haben wir nämlich nicht mehr im Esszimmer gegessen«, sagte Anni.
»Meine Mutter«, sagte Vera.
Jef nickte. Er kannte die Geschichte.
»Ist hier viel gemütlicher«, sagte Anni und murkste an der Weinflasche herum. Sie war wirklich nervös.
Jef stand auf, um ihr die Flasche zu öffnen.
»Und seitdem mein Vater darauf bestand, auf dem Esstisch aufgebahrt zu werden, mit Blick auf das Klavier, ist es jetzt unsere Aussegnungshalle.«
»Vera«, sagte Anni vorwurfsvoll, »ist doch nicht wahr. Dein Vater lag bei St. Anschar aufgebahrt.«
Jef hatte sich seines Jacketts entledigt. Das erste Mal seit Tagen war ihm warm. Er füllte die Gläser, die Anni bereitgestellt hatte, mit dem tiefroten Salice.
»Trinken wir immer zur Hühnersuppe.« Vera grinste.
»Dürfen Sie denn überhaupt?«, fragte Anni.
»Er ist älter, als er aussieht, Annilein.«
Und gefährlicher, dachte Jef und hatte Jorge vor Augen, im Büro hinter der Bar. Er fühlte sich auf einmal sehr matt.
»Ich dachte nur, falls er Tabletten nimmt«, sagte Anni.
Jef ließ sich in den Korbsessel sinken und trank einen Schluck Salice und nickte Anni beruhigend zu.
Stellte sich vor, er gehöre hier hin.
Das Glück des Hingehörens.
Er hatte nie lange bleiben können.
Seit er zwölf Jahre alt gewesen war, nicht mehr, obwohl er das Haus seines Vaters erst mit neunzehn verließ. Seine vierte Stiefmutter hatte in der Tür gestanden und gelächelt.
Immerhin war er damals alt
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