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Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Titel: Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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nicht auf die Chaiselongue. Sie war zu nervös, um elegant herumzuliegen. Lieber goss sie sich einen Gin ein, der im Kühler auf dem Sideboard stand, und setzte sich in den großen Sessel aus geflochtenem Bananenblatt, von denen Vera in einem seltenen Erneuerungsrausch zwei gekauft hatte, um das Wohnzimmer zu verjüngen.
    »Auch gut«, sagte Vera und stellte die Silberplatte mit den Schnittchen auf den Glastisch zwischen den Sesseln.
    »Waren die Fenster immer so nackt?«, fragte Leo.
    »Du hast das klare Auge der Journalistin und vor allem das gute Erinnerungsvermögen«, sagte Vera.
    »Da hingen also Vorhänge«, sagte Leo und klang beleidigt.
    Vera schnappte sich ein Schnittchen mit Kasseler und ließ sich in den zweiten Sessel fallen.
    »Hellgraue mit dunkelgrauen Mäandern«, sagte sie, »seit Jahrzehnten. Sie sind in der Reinigung.«
    »Aal«, sagte Leo, »Anni ist die Einzige, die ich kenne, die noch Aal aufs Brot tut.« Sie nahm sich eines und bewältigte es mit einem Bissen. »Das ist immer der Ärger mit diesen Canapés. Die meisten lassen sich nicht mit einem einzigen Biss essen. Dann fallen sie dir auseinander, und du hast eine Gurke oder einen Sardellenring im Ausschnitt.«
    Vera stand auf und ging zum Sideboard, um sich einen Drink zu nehmen. »Ja«, sagte sie, »das ist ein ständiger Krisenherd. Trinkst du deinen Gin weiter pur oder soll ich ihn mit Tonic aufgießen?«
    Leo guckte in ihr Glas. »Gott«, sagte sie, »hab ich da nur Gin drin?« Sie hielt Vera das Glas hin.
    »Spann mich nicht länger auf die Folter, Leo.«
    »Es ist ein Mann. Aber anders, als du denkst.«
    »Was denke ich?«, fragte Vera.
    »Dass ich Nick betrüge.«
    »Tust du es nicht?«
    »Ich liege nicht mit einem anderen Mann im Bett.«
    Vera setzte sich in ihren Bananenblattsessel, schlug die Beine übereinander und betrachtete ihre beste Freundin.
    »Was macht ihr denn?«, fragte sie.
    »In deinem Leben hat es doch auch schon Zeiten gegeben, in denen du keinen Sex hattest.«
    »Dann hatte ich auch keinen Mann.«
    »Er ist sehr feinsinnig«, sagte Leo, »und kultiviert.«
    »Da kannst du nicht brach gelegen haben. Ich kenne keinen beleseneren Mann als Nick.«
    »Die Eichmann-Protokolle«, sagte Leo, »überhaupt alles, was schrecklich ist, quälend oder elend. Und wenn er sich unterhalten will, dann liest er ›Das Totenschiff‹.«
    »Er ist eben sehr engagiert.«
    »Und seit letzten September besessen. Seit er dabei war, als sie die erste tote Frau fanden.«
    Die Pendeluhr in der Diele schlug neunmal. Vera sah zu den Fenstern und fand sie sehr nackt und die Stimmung ungut.
    Sie hätte gerne mit Leo über die Tätowierungen gesprochen, über den weißen Hals einer jungen Cellistin, die ihr nicht aus dem Kopf ging und nicht aus dem Herzen und kaum aus dem Magen, doch Nick hatte sie gestern verdonnert, darüber den Mund zu halten. Zu spät, um das bei Jef zu tun. Der schien ihr ohnehin kaum zugehört zu haben, als sie von den Morden erzählte. Dass Leo davon wusste, war an Nick wohl vorübergegangen. Sprach sie überhaupt noch mit ihm?
    »Besessen?«, fragte sie.
    »Was will er? Den Fall lösen? Die haben doch längst eine SoKo gegründet und lassen ihn außen vor.«
    »Ich glaube, dass er schon noch die Geschichte im Auge hat. Doch sie lässt sich vorläufig nicht zu Ende erzählen.«
    »Wenn Nick doch endlich der große Coup gelänge«, sagte Leo. Sie trank ihr Glas in einem Zug aus.
    »Ist es das, was du ihm vorwirfst, dass er kein Star ist?«
    »Quatsch«, sagte Leo.
    »Und der Neue?«
    »Er liest mir Gedichte vor.«
    »Davon lebt er?«
    »Er hat Geld«, sagte Leo. »Du tust doch auch nichts anderes, als Geld zu haben.« Dieser Vorwurf von Leo war neu. Sie musste wirklich sehr aufgewühlt sein.
    »Lass uns doch nicht streiten, Leo. Nimm dir lieber noch eines mit Aal.« Anni würde gekränkt sein, wenn sie morgen noch Schnittchen im Kühlschrank fände.
    »Ich streite ja nur, weil ich ein schlechtes Gewissen habe«, sagte Leo, »aber es ist wie ein Wahn. Ich bin verrückt nach diesem Mann. Vielleicht, weil er mich ernst nimmt und nicht als Klatschblattelse abstempelt.«
    »Das tut Nick auch nicht.«
    »Doch«, sagte Leo. »Doch. Doch. Doch.« Sie geriet so sehr in Bewegung, dass ihr der Gin aus dem Glas schwappte. Gut, dass das keine Flecken gab auf den grauen Leinenkissen der Bananenblattsessel. Sonst würde Anni die auch noch abziehen und in die Reinigung schicken.
    »Was soll ich tun?«
    »Mit Nick sprechen.«
    Leo

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