Verbannt
erkennen. War es nicht so, dass die anderen Bäume alle schon ihre Blätter verloren hatten? Ich konnte durch den Dunst nichts erkennen, also richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Riesen vor mir. Sumpfeichen. Erstaunt registrierte ich den Namen, der mir plötzlich einfiel. Ich kannte solche Bäume aus meiner Heimat Oklahoma. Ihre Blätter, die ich als Kind und Jugendliche so oft auf unserem Rasen zusammenharken musste, wiesen die vertrauten Spitzen auf. Nur waren diese Blätter noch fest mit den Ästen verbunden und hatten das Grün frischer Algen. Mein Blick glitt von der schweren Krone am massiven Stamm hinunter, der mit einem dichten Teppich dunkelgrünen Mooses bedeckt war. Abrupt stand ich auf. Das Moos schien ein gedämpftes Licht abzustrahlen, wie Licht, das durch einen Seidenstoff schimmerte. Es schrie geradezu danach, berührt zu werden.
Dann spürte ich es – das kitzelige Gefühl, als striche eine Feder über mein Bewusstsein. Ich konzentrierte mich auf den Baum, und das Gefühl flackerte wieder auf. Verständnis dämmerte mir. Es war eine ähnliche Empfindung wie bei der Marmorsäule. Ich erinnerte mich, dass Kai gesagt hatte, es käme daher, dass ich unter dem Erdzeichen geboren worden und deshalb mit der Erde verbunden sei. Ich merkte, wie sich ein erstauntes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Vielleicht konnte ich mit Bäumen „reden“.
Mit diesem Gedanken ging ich auf die Bäume zu, wurde aber von Epi mit einem scharfen Wiehern aufgehalten. Überrascht blieb ich stehen und drehte mich um, wobei ich beinahe in die Stute hineingelaufen wäre, die mir praktisch auf den Fersen folgte.
„Epi.“ Ich stolperte rückwärts, als sie mich mit ihrem Maul anstupste. „Was, zum Teufel, ist los mit dir?“
Ihre einzige Antwort war ein unterdrücktes Wiehern, während sie ihren Kopf an meiner Brust rieb.
„Meine Güte, ist ja okay. Ich will mir nur die alten Bäume näher ansehen, dann gehen wir nach Hause.“ Ich schaute über ihre Schulter zu meinem Mann, der uns mit einem amüsierten Gesichtsausdruck beobachtete.
„Sie macht mich verrückt“, sagte ich. „Ich bin froh, wenn die Zeremonie morgen Abend vorbei und sie wieder sie selbst ist.“
„Sie scheint wirklich etwas ...“
Er hielt inne, und ich war sicher, dass ihm Wörter wie paranoid, hysterisch und klammernd durch den Kopf gingen. Er entschied sich dann jedoch für emotional, wobei er mit den Augenbrauen wackelte, sodass wir beide wussten, was er wirklich meinte.
Ich zwinkerte und lächelte zustimmend. Den Kopf der Stute reibend, flüsterte ich ihr Koseworte ins Ohr, die sie beruhigen sollten: „Hey, mein Mädchen. Ist schon okay. Alles ist gut.“ Sie schien sich zu entspannen. „Ich möchte näher an die Bäume herangehen“, gestand ich ihr leise. „Kai sagt, dass ich irdische Dinge hören kann, und ich würde seine Theorie gerne überprüfen.“
Mit einem letzten Halstätscheln drehte ich mich um und ging schnurstracks auf die Bäume zu. Ich hörte, dass Epi mir ein paar Schritte folgte, dann aber stehen blieb. Ich schaute zu ihr zurück und sah, dass sie total still stand. Als ich sie betrachtete, lief ein leichtes Zittern über ihren Körper.
„Alles ist gut!“, sagte ich und winkte der versteinerten Stute fröhlich zu. Dabei ignorierte ich einen Anflug von Besorgnis wegen ihres seltsamen Verhaltens. Epi und ich litten sehr wahrscheinlieh beide unter hormonellen Turbulenzen. Kein Wunder, dass sie genauso schreckhaft war wie ich. Als ich mich wieder den Bäumen zuwandte, waren alle Gedanken an Epi verschwunden.
Ich stand in Reichweite der riesigen Eichen, und aus dieser Nähe konnte ich fühlen, dass sie etwas ausstrahlten. Ich neigte den Kopf und lauschte konzentriert.
„Rhea?“, rief ClanFintan.
„Pst“, sagte ich, ohne mich umzudrehen, und hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Ich machte noch einen Schritt nach vorne. Der nasse Boden saugte an meinen Reitstiefeln, und mir fiel auf, dass ich fast schon im flachen Bach stand, der zwischen den beiden Bäumen entlangfloss. Er war hier sehr schmal, nicht mal einen Meter breit, und plätscherte melodiös über die runden Kiesel. Vorsichtig stellte ich mich breitbeinig über den Bach und hob meine Arme, sodass an beiden Baumstämmen je eine Hand ruhte.
Als ich die moosbedeckte Borke berührte, durchzuckte mich ein schmerzvoller Blitz wie bei der Berührung eines Elektrozauns. Angst schnitt durch meinen Körper, und ich versuchte meine
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