Verbotene Liebe im Land der roten Sonne
Mum?“
Die Frage verblüffte Jack. „Natürlich Lady McGovern. Er kam mit dem Flugzeug und war schon nach der ersten Untersuchung sehr besorgt.“
„Warum wurde Mum nicht ins Krankenhaus gebracht?“
„Sie wollte nicht“, antwortete Jack traurig. „Keiner konnte sie umstimmen. Sie war glücklich auf Djinjara … glücklich mit mir. ‚Du bist mein Hüter, Jack‘, pflegte sie lachend zu sagen. Ja, ich habe sie behütet … bis zum Ende. Warum sie ihre Familie verlassen hat, weiß ich nicht. Bei Lady McGovern fand sie Frieden wie ein heimgekehrtes Kind. Es würde mich nicht wundern, wenn da irgendeine Blutsverwandtschaft bestanden hätte.“
Sie horchte auf. „Aber du weißt es nicht genau?“
„Nein, mein Schatz.“ Jack schüttelte den Kopf. „Und ich würde die alte Dame im Leben nicht danach fragen.“
Skye wusste jetzt, gegen welche Geister ihr Vater gekämpft hatte. Höchste Zeit, den Kampf selbst aufzunehmen! Lady Margaret kannte vermutlich als Einzige die Wahrheit, aber es würde schwer sein, sie zum Reden zu bringen. Wahrscheinlich hatte auch Broderick kaum etwas über Cathy gewusst. Er war damals schon verheiratet gewesen und hatte sich um seine eigene Familie gekümmert.
Plötzlich spürte Skye den Wunsch, das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Danach würde sie nach Brisbane zurückkehren, in ihr selbst gewähltes Leben. Es war sinnlos, sich länger etwas vorzumachen: Keefe hegte Zweifel an ihrer Herkunft, genau wie sie selbst. Die ungelösten Rätsel waren der Grund dafür, dass sie nicht zueinander finden konnten.
Skye sattelte ein Pferd und ritt zum Familienfriedhof der McGoverns hinaus. Ein hoher schmiedeeiserner Zaun mit scharfen Spitzen umschloss das Gelände. Das Doppeltor war geschlossen, aber frei zugänglich. Sie stieg aus dem Sattel und band ihr Pferd an. Dann öffnete sie die eine Seite, trat ein und ließ die schwere Metalltür wieder zufallen.
Der Friedhof war tadellos gepflegt, denn hier ruhten Generationen von McGoverns. Auf Steinen und Platten standen ihre Namen, es gab große Metallurnen und sogar einige Statuen. Ein trauerndes Mädchen aus weißem Marmor schmückte das Grab der Ehefrau des Familiengründers.
Wieso war Catherine McCory hier zwischen den McGoverns zur letzten Ruhe gebettet worden? Skye hatte als Kind einmal danach gefragt und keine Antwort erhalten. Lady Margaret hatte sie nur streng angeblickt und ihr allen Mut genommen, die Frage je zu wiederholen.
Broderick McGoverns Grab hatte noch keinen Stein. Sein Tod war zu plötzlich gekommen. Niemand hatte voraussehen können, dass er so früh abtreten und seinem dreißigjährigen Sohn die Zügel überlassen würde.
Skye hatte Blumen mitgebracht, aber sie stammten nicht aus dem Garten der McGoverns, den sie jederzeit plündern durfte. Sie hatte lieber rot und weiß blühende Bauhiniazweige abgebrochen und zu einem Strauß zusammengebunden. Sie wirkten vielleicht etwas zu heiter, aber der Friedhof war kein Ort der Trauer. Er bildete eine kleine Oase inmitten der endlosen Weite, vor der das Menschenleben zu dem wurde, was es war: eine kurze Zeitspanne in der Ewigkeit.
Sie erkannte das Grab ihrer Mutter an dem kleinen weißen Marmorengel mit ausgebreiteten Flügeln. Die Inschrift lautete:
Catherine Margaret McCory, 1964–1986
Bleib nicht stehen, um an meinem Grab zu weinen.
Ich bin nicht hier.
Skye kannte das Gedicht, aus dem die Zeilen stammten, und sprach es leise vor sich hin. Ringsum herrschte tiefe Stille, nur der Wind flüsterte leise in den Eichenkronen und strich ihr sacht über die Wange. War das ein Gruß ihrer Mutter? Vielleicht. Sie hatte nie glauben können, dass mit dem Tod alles aufhörte. Es gab den Geist und die Seele. Nur der Körper wurde der Erde übergeben.
Catherine konnte überall sein: im Wehen des Windes, im Aufsteigen der Vögel, in den Lichtern der Sterne, die nachts am Himmel schimmerten.
„Wo bist du, Cathy?“, flüsterte sie. „Und wer bist du?“
Sie bückte sich und legte den Bauhiniastrauß auf die weiße Grabplatte. Sie brauchte unbedingt Gewissheit, aber das Leben war voller Geheimnisse. Ihre eigene Familie blieb ihr ein Rätsel, und ihre Mutter konnte sie nicht mehr fragen. Sie war schon als Kind wissbegierig gewesen, und mit Cathys Tod war die entscheidende Wahrheitsquelle versiegt.
Skye verweilte aus Pietät auch noch an Brodericks Grab und ging dann auf dem breiten Kiesweg langsam zurück zum Tor. Rechts am Zaun rankte Geißblatt und erfüllte die Luft mit süßem
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