Verdacht auf Mord
nehmen und sich wieder hinlegen.
Ob sie die Adresse finden würde? Sie war nur ein einziges Mal in der neuen Wohnung von Emmy gewesen. Sie erinnerte sich, dass die Mietshäuser recht dicht standen und recht ähnlich aussahen. Schließlich kam sie zu den Häusern, die kreuz und quer in einer verkehrsberuhigten Zone mit asphaltierten Fußwegen lagen, jetzt wurde sie richtig unsicher. Sie radelte aufs Geratewohl auf zwei Häuser zu und betrachtete die Fassaden, ob sie etwas wiedererkennen würde. Aber das war unmöglich. Roter Backstein, dunkel gebeizte Fensterrahmen wie Trauerränder, einfach unmöglich auseinanderzuhalten. Wie sehr sie sich auch anstrengte, konnte sie sich nicht mehr an die Hausnummer erinnern.
Sie rief Emmys Mutter an. Sie war sofort am Apparat. Ihre Enttäuschung war ihr anzumerken, aber sie bekam die Adresse. Sie lautete Örnvägen 53.
Trissan stand vor der Stadtbücherei, die im Gebäude von Coop im Keller lag. Gegenüber waren Hausnummern mit sechzig. Um Zeit zu sparen, wollte sie jetzt ganz systematisch vorgehen. Aber sie konnte weder eine Übersichtskarte noch eine Menschenseele zum Fragen entdecken. Die einzige Person, die sie sah, war ein unrasierter Mann, der langsam auf den Laden zuging und mit dem sie sich nicht abgeben wollte.
Deswegen ging sie runter in die Bibliothek, sah aber niemanden am Informationstresen. Ein paar kleine Kinder blätterten in Bilderbüchern. Sie wurde fast wahnsinnig, ging aber trotzdem gelassen um die Regale herum, bis sie die nichts Böses ahnende Bibliothekarin gefunden hatte.
»Wo ist die Hausnummer dreiundfünfzig?«
Die Bibliothekarin hatte keine Ahnung, konnte ihr aber zeigen, wo sich ganz in der Nähe die Übersichtskarte befand. Trissan war sogar recht dicht an ihr vorbeigegangen und hätte sie sicherlich auch gesehen, wenn sie nicht so benebelt gewesen wäre. Sie hatte immer noch einen wahnsinnigen, quälenden Durst. Sie sah bereits vor sich, wie sie ihren Mund bei Emmy in der Küche unter die Wasserleitung halten würde. Ihre Übelkeit hatte sich jetzt mit Hunger gemischt, also begab sie sich in den Coop, um sich etwas Reelles, am liebsten etwas Süßes, zu besorgen. Sie entschied sich für ein paar frische Brötchen und zwei riesige Muffins. Das wird reichen, dachte sie. Emmy hat sicher Kaffee.
Mit der Einkaufstüte in der Hand trabte sie die Treppe hinauf. Sie hatte immer noch keine Lust, genauer darüber nachzudenken, was sie tun würde, falls Emmy wider Erwarten nicht zu Hause wäre. Aber sie würde natürlich verschlafen in der Tür stehen. Sie würde: Meine Güte, was willst du denn hier?, oder etwas Ähnliches sagen, sich aber trotzdem freuen. Ihre dunklen und leicht schrägen Augen würden leuchten, und sie würde sie in ihre unordentliche Wohnung lassen. Oder sie würde ihr zu verstehen geben, dass es gerade nicht passte, und das konnte nur eines bedeuten. Dass noch jemand dort war. Jemand, der wichtiger war als die Freundin.
Aber Trissan hatte sich vorgenommen, sich nicht um ihren Kaffee bringen zu lassen. Etwas würde Emmy schon als Dank für die Mühe für sie tun müssen. Trissan sah Emmys zwei Zimmer vor sich. Überall Markenklamotten, Accessoires, Makeup, Schuhe und vor allen Dingen Bücher und Kompendien sowie ungespülte Tassen und halb gegessene Butterbrote auf Tellern.
Sie drückte mit dem Zeigefinger fest auf die Klingel. Das Klingeln hallte in der Wohnung wider. Nichts passierte.
Sie klingelte nochmals.
Und noch einmal.
Insgesamt vier Mal. Dann klopfte sie und legte ihr Ohr an die Tür.
Totenstille.
Schlimmste Vorahnungen befielen sie, während sie klopfte, bis ihre Hand schmerzte. Um Gottes willen!
Jetzt schlug sie mit der flachen Hand gegen die Tür, und zwar so laut, dass die Nachbarn hätten kommen müssen, falls sie zu Hause gewesen wären. Sie spähte durch den Briefkastenschlitz: Fußabtreter, Reklame und ein weißer Umschlag. War die Post schon da gewesen? Oder war das die Post vom Vortag?
Ein schrecklicher Gedanke!
Jetzt reg dich mal nicht auf, ermahnte sie sich. Bleib vernünftig. Wenn Emmy über Nacht nicht nach Hause gekommen war, dann gab es dafür sicherlich eine ganz plausible Erklärung. Zumindest statistisch gesehen.
Sie musste die Herausforderung annehmen und sie ausfindig machen. Also drehte sie sich um und ging mit schweren, enttäuschten Schritten die Treppe hinunter. Aber gerade als sie beschlossen hatte, sich mit ihren Brötchen und Muffins zu trösten, fiel ihr ein, dass sie gar nicht geschaut
Weitere Kostenlose Bücher